Nach dem katastrophalen Ausgang der ersten Startversuchs einer Vanguard Rakete mit einem Satelliten an Bord wuchs der Druck auf die US Regierung, nun endlich auch einen Satelliten zu starten. Ebenso wie die Führung der Sowjetunion hatte man auch in den USA die politische Dimension unterschätzt, die der Start des ersten Satelliten beinhaltete. Hier wie dort betrachtete man die Raumfahrtidee mit Skepsis und als Angelegenheit von eher wissenschaftlicher Bedeutung. Priorität hatte die Weiterentwicklung der Rakete als Waffe, in der Sowjetunion mehr noch als in den USA, da man dort über eine große Flotte an Langstreckenbombern verfügte. Obwohl die USA also über durchaus verläßliche Geheimdienstinformationen bezüglich der sowjetischen Anstrengungen zum Start eines Satelliten verfügten, maß man dem keine große Bedeutung zu. Für 1958 hatte man den Start eines ersten Forschungssatelliten als Beitrag zum Internationalen Geophysikalischen Jahr angekündigt. Und obwohl die Sowjetunion gleiches hatte verlautbaren lassen, war die absolute Mehrheit der Amerikaner doch davon überzeugt, daß der erste Satellit aus den USA stammen würde. Daher meinte man sich auch den Luxus leisten zu können, extra eine neue Trägerrakete für das Vanguard Projekt zu entwickeln. Vorschläge der USAF, vor allem aber der US Army, die bereits in der Erprobung stehenden bzw. sogar in die Bewaffnung aufgenommenen Raketen Atlas bzw. Jupiter zum Satellitenträger umzurüsten, wurden zurückgewiesen. Die dahinterstehende Strategie war zweigleisig. Einerseits wollte man die militärische Raketenentwicklung nicht verzögern, andererseits sollte der friedliche Aspekt der amerikanischen Raumfahrtpläne betont werden. Da die völkerrechtlichen Aspekte, die aus dem Überflug eines Satelliten über fremden Territorium resultierten, noch nicht geklärt waren, wollte man keinen Vorwand für Anschuldigungen liefern, die USA betrieben Spionage oder gar die Stationierung von Waffen im Weltraum. Nicht, daß man diesen Ideen ablehnend gegenüberstand. Aber noch war man technologisch nicht soweit.
Auch nachdem die Sowjetunion ihren ersten Sputnik gestartet hatte, was weltweit eine vollkommen unerwartete Woge der Begeisterung auslöste, rückte man noch nicht davon ab, das Vanguard Projekt weiter zu favorisieren. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Binnen eines Monats startete die Sowjetunion bereits ihren zweiten Sputnik. Diesmal mit einem Hund an Bord. Was würde wohl als nächstes kommen? Nach dem Start des ersten Sputnik hatte ein US Admiral noch öffentlich erklärt, es sei keine Kunst „ein Stück Metall“ in den Erdorbit zu schießen. Auch US Präsident Dwight D. Eisenhower gab wenige Tage später eine Pressekonferenz, in der er erklärte, daß die neueste sowjetische Errungenschaft „keinen Anlaß zu Besorgnis“ biete und sie praktisch nur „einen kleinen Ball in die Luft geworfen“ hätten. Im Gegensatz zum Rest der Welt waren auch die Reaktionen in der amerikanischen Öffentlichkeit noch recht verhalten. Das änderte sich mit dem Start von „Laika“ schlagartig. Nun wurde auf höchster politischer Ebene der US Army die Freigabe erteilt, ihre dreistufige Jupiter-C Rakete, die bisher zur Erprobung von Atom-Sprengköpfen eingesetzt worden war, zum vierstufigen Satellitenträger umzurüsten. Damit nahm man Anfeindungen bewußt in Kauf, denn Leiter des Projekts war Wernher von Braun, jener Deutsche,
der mit der V-2 die erste Großrakete, aber eben auch eine Terrorwaffe, geschaffen hatte, deren Einsatz Tausenden Menschen während des 2. Weltkriegs das Leben kostete. Doch jetzt war jedes Mittel recht, den Siegslauf der Sowjetunion zu stoppen. Zum Glück verfügte die US Army in Huntsville bereits über zwei für Sonderaufgaben modifizierte Jupiter-C Raketen, die sich leicht zum Satellitenträger umrüsten ließen. Der Großteil der Entwicklungsarbeit hierzu war bereits geleistet. Lediglich eine Viertstufe mit der Nutzlast mußte noch aufgesetzt werden. Im Rahmene des militärischen Erprobungsprogramms war diese zwar entwickelt, aber nie aktiv eingesetzt worden. Statt mit Treibstoff war sie mit Ballast gefüllt worden, um zu verhindern, daß die Endstufe versehentlich zum Satelliten wurde. Gerüchte, die gekränkten US Army Experten planten das Verbot zum Start eines eigenen Satelliten eben so zu umgehen, hatten sich lange grhalten. Drei Testflüge in dieser Konfiguration waren 1956/57 unternommen worden (RS-27 am 20.09.1956, RS-34 am 15.05.1957 und RS-40 am 08.08.1957). Von Braun, der zugesichert hatte, binnen 90 Tagen nach Beauftragung Rakete und Satellit startklar zu haben, und der Direktor des Jet Propulsion Laboratory (JPL) am California Institute of Technology (Caltech), William H. Pickering, wandten sich mit ihrem detailliert ausgearbeiteten Vorschlag an den neuen Verteidigungsminister Neil H. McElroy. Sie drängten darauf, mit dem ersten US Satelliten nicht nur eine Demonstration der Fähigkeit zum Satellitenstart zu verbinden, sondern vielmehr auch (im Gegensatz zu Sputnik 1) wissenschaftliche Ziele zu verfolgen. Da unter Leitung des renommierten Dr. James van Allen an der State University of Iowa bereits ein miniaturisierter Geiger-Zähler entwickelt worden war, der bewußt kompatibel zu den Satellitenentwürfen für das Vanguard Projekt als auch für einen
möglichen US Army Satelliten war, wurde dieses Experiment als erstes ausgewählt. Dazu kamen ein Mikrometeoriten-Detektor Experiment und ein Satz von internen und externen Temperatursensoren. Anfang November 1957 begannen die Arbeiten an den Experimenten. Und als am 08.11.1957, nach dem Start von Sputnik 2, die US Army auch offiziell beauftragt wurde, ihre beiden eingelagerten Jupiter-C Raketen für die neue Aufgabe startklar zu machen, liefen die Arbeiten bereits. Vom Gesamtgewicht des ersten Satelliten (13,97 kg) entfielen lediglich 8,3 kg auf die wissenschaftliche Instrumentierung.
Die NiCd-Batterien zur Energieversorgung der Instrumente und der beiden 60 mW bzw. 10 mW Sender für das Microlock und Minitrack System machten den Großteil des restlichen Gewichts aus. Aufgrund des Zwangs zur Miniaturisierung setzte man bei der elektronischen Ausrüstung des „Explorer“ getauften Satelliten auf die noch junge Transistortechnik. In einem Wettlauf gegen die Zeit schritten die Arbeiten voran. Am 01.01.1958 waren die Komponenten für drei Sätze des Instruments zur Strahlungsmessung fertiggestellt. Zehn Tage später war eine Einheit getestet und bereit zum Start. Parallel dazu liefen die Arbeiten an der Rakete in Cape Canaveral. Am 17.01.1958 wurde sie auf Startkomplex 26 A aufgerichtet. Der erste Startversuch sollte dann am 29.01.1958 unternommen werden. Aber Sondierungen mit Wetterballons zeigten zu starke Höhenwinde über Cape Canaveral. Am nächsten Tag schienen die Bedingungen besser zu sein, der achtstündige Countdown wurde aufgenommen. Doch wieder zeigte sich der Jetstream und General John B. Medaris ließ den Start erneut absetzen. Im dritten Anlauf hatte die US Army endlich mehr Glück. In den Nachtstunden des 31.01.1958 Ortszeit (01.02.1958 Weltzeit) näherte sich der Countdown der entscheidenden Phase. Zwei Stunden vor dem geplanten Startzeitpunkt wurde die Erststufe betankt. Lediglich zwei außerplanmäßige Unterbrechungen des Countdowns zur Behebung kleinerer technischer Probleme mußten eingeschoben werden. So reparierten Techniker ein Wasserstoff-Peroxid Leck in der Hecksektion der Rakete. Um 03:45 UTC gab Startdirektor Kurt H. Debus das Kommando zur Initiierung der automatischen Startsequenz. Bei T-12 s wurde der Motor für die Spinstabilisierung des Oberstufenköchers aktiviert.
Und um 03:48:16 UTC hob die Juno I Rakete in den Nachthimmel ab. In einem der Hangars am Cape war ein „apex predictor“ aufgebaut worden, der Radardaten, Dopplermessungen und Telemetriesignale nutzte, um den optimalen Zeitpunkt für die Zündung der Zweitstufe zu berechnen. Ernst Stuhlinger löste die Zündung per Funkkommando mit einer Präzision aus, die ihm den Spitznamen „the man with the golden finger“ einbrachte. Die folgenden Stufen wurde von einem automatischen Sequenzer gezündet und niemand wußte, ob Explorer I schließlich seine Bahn erreicht hatte. Bereits geringe Abweichungen im Bahnwinkel, der Brennschlußgeschwindigkeit oder vom optimalen Zündzeitpunkt konnten die Mission scheitern lassen. Doch nach einem knappen Erdumlauf gingen aus Kalifornien erste Informationen ein, wonach alle vier dort befindlichen Bodenstationen Telemetriedaten empfangen hatten. Wenige Minuten später hörten auch die Techniker und Wissenschaftler in Cape Canaveral die Signale. Die Brennschlußgeschwindigkeit der letzten Stufe hatte etwas zu hoch gelegen, so daß auch die Bahn etwas von der projektierten abwich. Doch Explorer I hatte einen stabilen Orbit erreicht!
Am nächsten Morgen präsentierten sich van Allen, Pickering und von Braun in Washington mit einem Modell des Satelliten vor einer begeisterten Masse von Journalisten. Endlich hatten die USA in der Raumfahrt zur Sowjetunion aufgeschlossen! Die Medien, aber auch die einfachen Menschen jubelten. Vor allem in Huntsville wurden die Techniker der Army ausgelassen gefeiert. Für die Wissenschaftler begann jetzt aber erst die Arbeit. Während bereits der nächste, praktisch identisch instrumentierte, Satellit zum Start vorbereitet wurde, mußten auch die eingehenden Meßdaten analysiert werden. Dabei schien es zunächst so, daß die Meßdaten zur Kosmischen Strahlung unbrauchbar waren. Denn für einen großen Teil eines jeden Erdumlaufs zeigten diese „0“. Van Allen interpretierte die Information jedoch richtig. Denn das Instrument war in Wirklichkeit zu empfindlich und durch die zu intensive Strahlung am oberen Limit blockiert. Nur während kurzer Phasen wurden korrekte Werte empfangen. Wenn aber in bestimmten Bereichen eine so intensive Strahlung herrschte, konnte das nur heißen, daß die Erde von Strahlungsgürteln umgeben waren. Mindestens zwei ließen sich aus den Meßdaten ableiten und wurden später ihrem Entdecker zu Ehren „Van-Allen-Gürtel“ genannt. Da verfügten die Auswerter aber bereits über die Meßdaten von Explorer III und vor allem Explorer IV. Letzterer hatte bereits einen Bandrekorder zur Datenzwischenspeicherung an Bord gehabt und so einen viel vollständigeren Überblick über die Strahlungsniveaus liefern können. Die Chance dazu hatte auch die Sowjetunion mit Sputnik 3 gehabt. Doch als dieser am 15.05.1958 seine Bahn erreichte, versagte sein Datenrekorder. Bereits bei der Bodenerprobung war das Gerät als sehr unzuverlässig aufgefallen. Doch der politische Druck auf das Kollektiv um Sergej P. Koroljow ließ keine Verschiebung des Starttermins zu. Und so erreichte mit Sputnik 3 zwar ein mit 12 Meßkomplexen umfassend instrumentierter Satellit seine Bahn. Doch konnten nur wenige brauchbare Daten jeweils beim Überflug sowjetischer Bodenstationen gewonnen werden. Wie sich später zeigte, hatten auch sowjetische Wissenschaftler die auffälligen Strahlungsmeßwerte registriert. Doch es waren zu wenige Daten, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Diese Runde im „Wettlauf ins All“ ging an die Amerikaner.