In einer mit militärischer Präzision organisierten Aktion (Operation OSOAVIACHIM, russ. ОСОАВИАХИМ) übersiedelte die sowjetische Besatzungsmacht innerhalb weniger Tage im Oktober 1946 einige tausend deutscher Experten mit als strategisch wichtig eingestuften Kenntnissen samt ihrer Familien in die Sowjetunion. Die Verantwortung für die „Evakuierungen“ hatte Geheimdienstchef Lawrenti Beria Generaloberst Serow vom NKWD und Generaloberst Sawenjagin vom MWD übertragen. Unter den Betroffenen befanden sich auch hunderte Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker aus dem V-Waffen Programm. Damit nahm die bis dahin recht offene Zusammenarbeit der deutschen und russischen Experten eine plötzliche und unerwartete Wende. Organisiert worden war das Unternehmen vom sowjetischen Geheimdienst NKWD. Selbst die Militärs, die bisher mit den deutschen Experten zusammengearbeitet hatten, waren erst in letzter Sekunde über die Pläne eingeweiht worden. Niemandem sollte die Gelegenheit gegeben werden, sich dem Zugriff zu entziehen.
Bereits vor dem Ende des zweiten Weltkriegs in Europa waren sowjetische Spezialeinheiten in den ehemals deutsch besetzten Gebieten Polens und der Tschechei und später auch in Deutschland selbst auf der Suche nach verwertbarer Hochtechnologie. Vor allem Flugzeuge, Flugzeugtriebwerke und Lenkwaffen (Raketen und Marschflugkörper) standen im Fokus des Interesses. Die deutschen Entwicklungen waren unmittelbar militärisch relevant und versprachen einen Vorteil im Wettlauf mit den Westmächten um die angestrebte Vorherrschaft in Europa. Die USA, aber auch Frankreich und Großbritannien, verfuhren in den von ihnen eroberten Gebieten nicht anders. Es gab sogar eine ausgeprägte Rivalität zwischen den Siegermächten um das deutsche know-how. Das bekannteste Beispiel ist das Vorgehen der US Truppen in Thüringen. Die dort vor den Sowjets eingetroffenen Amerikaner transportierten viele Zugladungen an Material und Dokumenten aus den V-Waffen Produktionsstätten ab, bevor die Besatzungsmacht Anfang Juli 1945 vertragsgemäß an die nachrückenden sowjetischen Truppen übergeben wurde. Doch auch den anderen Westalliierten versuchte man, wenn irgend möglich, den Zugang zu den V-Waffen zu verwehren. Der Umfang des dennoch von sowjetischen Truppen gesicherten Materials war aber immer noch gewaltig. Zahlreiche Forschungsinstitute fielen weitgehend unbeschädigt in ihre Hände. Als am 01.07.1945 die Vorauskommandos der Roten Armee in Nordthüringen einrückten, folgten ihnen unmittelbar auch die Spezialeinheiten zur Sicherstellung deutscher Beutetechnik. Unter Leitung von Genrik N. Abramowitsch, einem namhaften sowjetischen Gasdynamiker, und dem Triebwerksexperten Alexej M. Isajew begann eine Bestandsaufnahme. Während die Fertigungsstätten im Kohnstein bei Nordhausen weitgehend von den US Truppen ausgeräumt worden waren, wurde man im 130 km entfernten Lehesten überreich belohnt. Mehr als 50 werksneue A-4 Brennkammern, dazu 15 Waggons mit Triebwerken und vielfältige Bodenausrüstung fand man dort vor. Da man mit Vergünstigungen, wie z.B. großzügigen Lebensmittelzuteilungen und nach damaligen Maßstäben sehr guter Entlohnung, nicht sparte, fanden sich bald schon viele der ehemaligen Mitarbeiter, Wissenschaftler, Ingenieure und sonstiges Personal, zu einer Kooperation bereit. Unterlagen wurden analysiert und übersetzt, sowjetische Experten eingewiesen und sogar die Forschungsarbeit vereinzelt wieder aufgenommen. In Thüringen installierte man noch im Sommer 1945 das Institut RABE (Raketenbau und –Entwicklung). Ansässig war dieses in Bleicherode, nur wenige Kilometer vom Kohnstein entfernt, in dessen unterirdischen Stollen bis zum April 1945 Häftlinge des KZ Dora die berüchtigten V-Waffen produziert hatten. Zu den sowjetischen Experten, die vor Ort mit der Ausbeutung deutscher Technik beschäftigt waren, zählten u.a. Sergej P. Koroljow, Boris J. Tschertok, Georgi A. Tjulin, Arwid W. Pallo und Juri A. Pobedonoszew. Sie befragten zunächst die deutschen Raketenexperten, die man in der Umgebung ausfindig machen konnte. Denen blieb kaum eine Möglichkeit, sich der Zusammenarbeit zu entziehen. Bald schon zeigten aber auch die Vergünstigungen (Lebensmittel, Wohnraum, Gehalt), die die Militäradministration den gesuchten Fachkräften bot, erste Erfolge. Zunehmend meldeten diese sich freiwillig zur Mitarbeit. Andere wieder wurden in Gefangenenlagern ausgemacht und unter Androhung harter Konsequenzen zur Mitarbeit verpflichtet. Seit Juli 1945 liefen im Institut RABE unter Hochdruck die Arbeiten zur Rekonstruktion des Steuerungssystems des Aggregat-4 . Zu diesem lagen bis dahin die wenigsten Informationen, Dokumentation wie auch konkrete Hardware, vor. Im September 1945 gewann das Projekt an Dynamik, als es gelang, mit Diplomingenieur Helmut Gröttrup, einen bedeutenden Insider des V-Waffen Programms zur Mitarbeit zu bewegen. Gröttrup, ehemals Assistent bei Wernher von Braun, hatte sich im Frühjahr aus dem Evakuierungszug der Peenemünder Experten abgesetzt und in seine Heimat durchgeschlagen. Nun bot er seine Dienste gegen gute Entlohnung den Sowjets an. Die setzten ihn zunächst als Leiter des „Büro Gröttrup“ ein. Als Kopf einer ihm unterstellten Ingenieurabteilung half er maßgeblich bei der Vervollständigung der Unterlagen zum Aggregat-4 Steuerungssystem. Und er fertigte eine detaillierte Chronik der Peenemünder Entwicklungsarbeiten an. Außerdem war er behilflich, weitere Experten für die Mitarbeit im Institut RABE anzuwerben. Ebenfalls im Herbst 1945 traf eine zweite Gruppe von sowjetischen Experten in Nordhausen ein. Darunter Wassili P. Mischin, Nikolai A. Piljugin und Michail S. Rjasanski. Gröttrup wurde schließlich als Generaldirektor der „Zentralwerke“ berufen. Diese bildeten inzwischen die Dachorganisation für eine Reihe von Zweigbetrieben, die an der Rekonstruktion des A-4 arbeiteten und die Fertigung neuer Exemplare übernehmen sollten. In Werk I in Sömmerda unter Mischin wurden Berechnungen vorgenommen und später die Produktion von Raketenzellen aufgenommen. Werk II in Nordhausen stand unter Leitung von Valentin P. Gluschko. Hier lief die Fertigung der Antriebe für die Rakete. Diese wurden seit dem 06.09.1945 regelmäßig auf den Testständen von Lehesten erprobt. Zunächst unter Leitung von Dr. Joachim Umpfenberg, später dann in Verantwortung eines Experten des sowjetischen OKB-SD (heute NPO Energomasch). In einem ehemaligen Reparaturwerk für das A-4 in Kleinbodungen, jetzt Werk III lief die Endmontage der Raketen. Und Werk IV in Sondershausen fertigte die Steuerungs– und Kontrollsysteme. Das vormalige Institut RABE wurde unterdessen als Entwicklungsabteilung in das neu geschaffene Institut „Nordhausen“ eingegliedert. Als dessen Leiter berief man Generalmajor Lew M. Gaidukow, den bisherigen Chef der Raketenwerferverbände. Stellvertreter und Chefingenieur wurde Koroljow, der damit erstmals seit seiner Entlassung aus dem Arbeitslager eine verantwortliche Tätigkeit übertragen bekam.
Die anfängliche Unsicherheit der deutschen Belegschaft über ihre Zukunft hatte sich unterdessen gelegt. Immer wieder versicherten die russischen Vorgesetzten, daß es keine Zwangsverpflichtung in die Sowjetunion geben würde. Die Arbeiten an der Rekonstruktion und Verbesserung des Aggregat-4 zeigten schon bald erste Erfolge. Zahlreiche noch vor Kriegsende studierte Modifikationen des A-4 , insbesondere des Antriebs, wurden nun praktisch bei Prüfstandläufen in Lehesten erprobt. Bereits im Dezember 1945 erreichte die Gesamtzahl der Mitarbeiter der „Zentralwerke“ (deutsche und sowjetische) eine Größenordnung von 600. Andere Materialien gingen zur weiteren Auswertung in die Sowjetunion. Allein im February 1946 verließen 700 Waggonladungen Thüringen. Sie transportierten Baugruppen von A-4 , „Rheintochter“, Henschel Hs-293 A und Hs-294 sowie der „Fritz-X“ Rakete zum GZKB-1 (NII-1 ). Dieses Konstruktionsbüro war zwar nominell für die Auswertung dieser Technik zuständig, doch fehlte es an Ausrüstung und Personal. Davon ahnte man in Deutschland aber nichts. Im März 1946 waren zwei komplette Aggregat-4 Nachbauten fertiggestellt und wurden mit Testläufen in Lehesten erprobt. Zwischen Juli und September 1946 fanden rund 40 Prüfläufe mit Modifikationen des A-4 Antriebs in Lehesten statt. Bei einigen Modellen war der Schub von 25 auf 30 Tonnen gesteigert worden. Inzwischen arbeiteten mehr als 5.000 Deutsche und über 1.000 sowjetische Militärs und Zivilisten für die „Zentralwerke“. Unterdessen war in der Sowjetunion auch das Interesse Josef W. Stalins an der Raketentechnik geweckt worden. Bis dahin hatte es keine erkennbare Strategie für die militärische Nutzung der deutschen Großraketentechnik innerhalb der Roten Armee gegeben. Ähnlich wie zuvor in Deutschland (und später in den USA) gab es unterschiedliche Ansichten über ihre Einordnung bei den Streitkräften. Handelte es sich eher um eine Weiterentwicklung der Artillerie, die zudem mit der „Katjuscha“ alias „Stalinorgel“ bereits Erfahrungen im Einsatz von (Feststoff-)Raketen gesammelt hatte? Oder waren moderne Großraketen die logische Weiterentwicklung des Bombenflugzeugs und vielmehr den Lufstreitkräften zuzordnen? Am 13.05.1946 unterzeichnete Stalin ein Dekret, das die Grundlagen für die sowjetische Raketenentwicklung legte. Darin wurden organisatorische und strukturelle Fragen geklärt sowie der weitere Entwicklungsweg festgelegt. Priorität erhielten der Aufbau der Produktion einer sowjetischen Variante des Aggregat-4 und die Entwicklung der Flugabwehrrakete „Wasserfall“ zur Serienreife. Die Verantwortung für das A-4 Programm wurde dem Rüstungsbetrieb No. 88 (heute RKK Energija) in Kaliningrad übertragen. Beschlossen wurde ferner, baldmöglichst den Kern der deutschen Raketenexperten in die Sowjetunion zu überführen.
Die Produktion der „Zentralwerke“ hatte mittlerweile nahezu das Niveau der letzten Kriegsmonate erreicht. Das stand aber in eklatantem Widerspruch zu alliierten Vereinbarungen über die Demilitarisierung Deutschlands. Nachdem Stalin nun die Bedeutung der Raketentechnik erkannt hatte, beschloß er, die wertvollen Experten in die Sowjetunion evakuieren zu lassen, damit sie ihre Arbeit unbeobachtet von den Westalliierten fortsetzen konnten. Bis zum Oktober 1946 war die Belegschaft der „Zentralwerke“ bis auf etwa 7.000 Mitarbeiter angewachsen. Sie rekrutierten sich u.a. aus den ehemaligen Konstruktions– und Fertigungsabteilungen der Arado-Werke, aber auch Experten anderer Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten. Die meisten von ihnen hatten nicht lange gezögert und die Chance ergriffen, für sich und ihre Familien im zerstörten Nachkriegsdeutschland unter vergleichsweise komfortablen Bedingungen den Lebensunterhalt zu verdienen. Mehrheitlich gingen sie davon aus, hier für die nächsten Jahre einer gut bezahlten Tätigkeit für die Besatzungsmacht nachgehen zu können. Das war für einige der hochqualifizierten Experten sogar so interessant, daß sie die Westzonen verließen, wo sie keine adäquate Arbeiten hatten finden konnten. Nur einige Führungskräfte wußten, oder nahmen doch wenigstens an, daß die Arbeiten schon in einigen Jahren wohl in die Sowjetunion verlagert werden würden. Doch kurzfristig sahen auch sie dieses Risiko nicht. Denn schließlich war man noch ständig damit beschäftigt, neue Entwicklungs-, Fertigungs– und Testkapazitäten in der Sowjetischen Besatzungszone aufzubauen. Und außerdem konnte man sich auf wirksame Arbeitsverträge berufen, die ausdrücklich ein Kündigungsrecht der Experten für den Fall vorsahen, daß die Arbeit (wohin auch immer) verlagert werden sollte. Selbst als Anfang Oktober 1946 plötzlich die Fertigstellungstermine für viele Projekte vorverlegt wurden, ahnte niemand die Gefahr. Daher waren die Deutschen vollkommen überrascht, als am Morgen des 22.10.1946 zwischen 3:00 und 5:00 Uhr Soldaten an ihren Wohnungstüren klopften. Ihnen wurde erklärt, daß sie einige Stunden Zeit hätten, die wichtigsten persönlichen Utensilien und etwas Hausrat zusammenzupacken. Es sei beschlossen worden, daß sie ihre Arbeit zukünftig in der Sowjetunion fortsetzen sollten. Proteste blieben ungehört oder wurden mit unverhohlenen Drohungen beantwortet. Vor allem höhere Ingenieurgrade und Wissenschaftler wurden genötigt, eine Erklärung zu unterzeichnen, wonach sie sich einverstanden erklärten, ihre Arbeit in der UdSSR fortzusetzen. Dann ging es per Lkw zum Bahnhof Kleinbodungen, wo ein Zug bereitstand. Betroffen waren mehr als 150 Mitarbeiter der „Zentralwerke“. Dazu kamen weitere Spezialisten aus anderen Instituten. Insgesamt wurden in einer koordinierten Aktion innerhalb kürzester Zeit mehr als 2.000 Experten unterschiedlicher Branchen aus der gesamten SBZ zur Arbeit in der Sowjetunion zwangsverpflichtet. Sie wurden mit ihren Familien in 92 Zügen in die Sowjetunion verfrachtet und dort auf verschiedene Standorte aufgeteilt. Einige fanden sich in der winterlichen Steppe unweit von Stalingrad wieder, wo bei Kapustin Jar der erste sowjetische Schießplatz für Fernraketen eingerichtet wurde. Andere wurden nach Chimki bei Moskau gebracht, wo sie unter Leitung von Gluschko an der Weiterentwicklung der A-4 Antriebs arbeiteten. Fast alle Mitglieder des später so berühmten „Rates der Chefkonstrukteure“ erhielten deutsche Spezialisten zugeteilt. So auch Nikolai A. Piljugin (Steuerungssysteme) oder Wladimir P. Barmin (Startanlagen und Bodenausrüstungen). Nicht alle waren von der Zusammenarbeit mit den Deutschen angetan. Insbesondere Koroljow, aber auch Gluschko, zeigten mehr oder weniger offen ihre Ablehnung. Eine große Gruppe der Experten fand sich auf der Insel Gorodomlja im Seligersee wieder, wo sie für das NII-88 unter Koroljow an neuen Konzepten für Fernraketen forschten. Zunächst unterstützten die verschiedenen Expertengruppen den Aufbau einer Produktionskapazität für den A-4 Nachbau R-1 in der Sowjetunion. Auch bei der Erprobung der R-1 in Kapustin Jar waren sie noch sehr gefragt. Bald darauf kehrten die ersten Techniker aber schon nach Deutschland, besser gesagt in die DDR, zurück. Nachdem sich die ersten Erfolge bei ihren sowjetischen Kollegen einstellten, wurden die deutschen Experten zunehmend aus aktuellen Entwicklungen herausgehalten. Zwar erhielten sie fortwährend noch Entwicklungsaufträge für neue Fernraketen mit immer größerer Reichweite. Doch nun blieb es bei Studien. Diese wurden auch noch intensiv mit den sowjetischen Experten aus den Konstruktionsbüros, denen sie zugeordnet waren, diskutiert. Inwieweit ihre Konzepte eine praktische Umsetzung erfuhren, blieb den deutschen Ingenieuren nun aber verborgen. Während in Gorodomlja immer neue Entwürfe für Langstreckenraketen entstanden, gelang in Chimki eine spürbare Verbesserung der Parameter des bisherigen A-4 Antriebs. Ohne daß es die Deutschen wußten, arbeiteten ihre russischen Kollegen an den gleichen Themen. Den Deutschen kam die Rolle der Ideengeber zu. Derart versicherte man sich nicht nur der Kreativität zweier Gruppen von Spezialisten. Sichergestellt wurde damit auch, daß die deutschen Experten keinen Einblick in den tatsächlichen Entwicklungsstand der sowjetischen Raketentechnik bekamen. Das geschah im Hinblick darauf, daß der Aufenthalt der deutschen Experten in der Sowjetunion auf fünf Jahre befristet geplant war. Tatsächlich gelang es in dieser vergleichsweise kurzen Zeitspanne, die Grundlagen für ein erfolgreiches Lenkwaffenprogramm zu legen. Eine komplette Industrie entstand aus dem Nichts. Allein der Nachbau des Aggregat-4 als R-1 war eine enorme Leistung. Mußte die deutsche Entwicklung doch an sowjetische Verhältnisse angepaßt werden. Fertigungsverfahren, Materialen und Organisationsstrukturen wurden entweder übernommen, unter Beachtung sowjetischer Bedingungen und Möglichkeiten angepaßt oder vollkommen neu aufgebaut. Das bedeutete einen enormen Technologietransfer für die gesamte Volkswirtschaft.
Der Start der ersten in der Sowjetunion montierten Rakete der Serie „T“ (d.h. gefertigt auf Grundlage von aufgefundenen und in Deutschland nachgebauten Komponenten) fand am 18.10.1947 in Kapustin Jar statt. Die Rakete flog 206,7 km und wich seitlich 30 km zu geplanten Zielpunkt ab. Zudem zerbrach die Rakete beim Wiedereintritt. Noch weniger befriedigten die Ergebnisse des zweiten Versuchsstarts am 20.10.1947. Bei einer Reichweite von 231,4 km wich dieses Exemplar sogar um 180 km seitlich vom Ziel ab. Dennoch wurde die Erprobung fortgesetzt. Nach Hinzuziehung der deutschen Experten zum Schießplatz verbesserten sich auch die Ergebnisse. Insgesamt wurden elf Aggregat-4 gestartet. Sechs der Serie „T“ und fünf bereits in Deutschland montierte der Serie „N“. 1948/49 ging dann die komplett mit sowjetischer Technologie gefertigte R-1 in die Erprobung (zehn bzw. zwölf Starts). In Ermangelung eines besseren Modells wurde die Rakete mit ihren 270 km Reichweite am 25.11.1950 in die Bewaffnung aufgenommen. Ein Jahr später, im Dezember 1951, kehrten die ersten Gruppen deutscher Wissenschaftler in die DDR zurück. Gröttrup folgte, enttäuscht vom Verhalten der Sowjets, als einer der letzten im November 1953. Zuletzt hatten er und seine Kollegen nicht einmal mehr theoretisch an Raketen gearbeitet. Stattdessen mußten sie u.a. landwirtschaftliche Gerätschaften konstruieren. Einige wenige der Experten blieben aber auch noch deutlich länger in der Sowjetunion, teils bis Ende der 1950er Jahre.
Wie auch die amerikanische und französische Raketenentwicklung geht die sowjetische maßgeblich somit auf die Arbeiten deutscher Experten zurück. Alle drei Siegermächte hatten bei Kriegsende 1945 bereits eigene bedeutende Schritte zur Entwicklung leistungsfähiger Großraketen unternommen. Doch der Zugriff auf die Erfahrungen aus den deutschen Entwicklungen verlieh den Programmen eine neue Dynamik. In der Sowjetunion begann man als erste Nation in großem Maßstab damit, sich dieses Wissen praktisch nutzbar zu machen. Und mit dem typisch russischen Blick für das Machbare gelang schon bald eine erstaunliche Leistungssteigerung. Nachdem man bei der Weiterentwicklung des A-4 Triebwerks an unüberwindbare Grenzen gestoßen war, wandte man sich erfolgreich dem Konzept der Bündelung kleinerer Triebwerke zu. Verbesserte Steuerungssysteme, eine leichtere Konstruktion und der abtrennbare Sprengkopf erlaubten bald schon den Transport eines nuklearen Sprengkopfs über mehrere Tausend Kilometer. Dank der mittlerweilen hohen Zuverlässigkeit der Triebwerke und eines genialen Stufenkonzepts führte diese Entwicklung nur zehn Jahre nach der Zwangsverpflichtung der deutschen Experten und fünf Jahre nach ihrer Rückkehr zur ersten Interkontinentalrakete, der R-7 „Semjorka“. Und als Jahre später Details zu den Raketen bekannt wurden, die den Sputnik und Juri Gagarin in den Weltraum getragen hatten, erkannten einige der deutschen Raketenexperten ihre Ideen wieder. Ohne es zu ahnen, hatten sie Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre doch noch dazu beigetragen, den von einigen unter ihnen gehegten Traum vom Raumflug zu realisieren.
Institut RABE