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Projekt „Blossom“ und die ersten tierischen Astronauten

Hintergrundartikel

Start der Blossom IV-B Mission mit Albert IIAls nach dem Ende des zweiten Weltkriegs Ingenieuren und Wissenschaftlern mit dem Aggregat-​4  erstmals eine Rakete, die bis in den erdnahen Weltraum vordingen konnte, für ihre Forschungen zur Verfügung stand, bekamen Fragen eine zunehmende Bedeutung, die bis dahin eher in der phantastischen Literatur abgehandelt worden waren. Eine davon betraf die Frage, ob ein Mensch überhaupt im Zustand der Schwerelosigkeit überleben konnte. Auch das Militär zeigte zunehmendes Interesse an dieser Frage. Im Zeitalter der ersten Jet– und Raketen-​Flugzeuge schien der Raketenflug in den Weltraum nur noch ein Frage der Zeit. Am 14.10.1947 hatte der USAF Pilot Charles E. „Chuck“ Yeager mit der Bell X-​1  als erster Mensch im Horizontalflug die Schallmauer durchbrochen. Seit 1946 flogen in die USA verbrachte A-​4  aus deutscher Produktion auch vom Raketentestgelände White Sands in New Mexico. Primäres Ziel dieser Versuche war es natürlich, die erbeutete Waffentechnik auf ihren tatsächlichen praktischen Nutzen zu untersuchen. Unter den deutschen Waffenprojekten der letzten Kriegsmonate befanden sich viele hoffnungslos utopische Ideen. Andere waren ihrer Zeit einfach soweit voraus, daß sie mit damaliger Technologie nicht umgesetzt werden konnten. Viele Entwicklungen der Luftwaffe aber auch das Großraketenprogramm des Heeres hingegen bedeuteten einen Technologieschub für die alliierten Siegermächte. Trotz der Spannungen im beginnenden Kalten Krieg war man in den USA aber zunächst eher daran interessiert, eine Friedensdividende einzufahren. Die Bevölkerung hatte genug vom Krieg und war mehr an den Annehmlichkeiten der Technik interessiert. Moderne Autos und Haushaltgeräte erfreuten sich großer Beliebtheit. Ende der 1940er Jahre erfuhr auch das Fernsehen einen rasanten Aufschwung. Während die Flugzeugindustrie sichtbar von den vormals deutschen Entwicklungen profitierte, blieb es bei der Raketentechnik zunächst bei Forschungsprogrammen. Triebwerke und Steuerungstechnik wurden gründlich analysiert, nachgebaut und im Detail verbessert. Rüstungsaufträge blieben aber zunächst aus.
A-4 #21 Erdaufnahme aus 162 km Höhe (1947)Die Testabschüsse der A-​4 wurden in die Hände des Upper Atmosphere Research Panel gelegt. In diesem Komitee waren bei seiner Gründung am 27.02.1946 Vertreter von US Navy, US Army, Industrie (General Electric) und Forschung (Universitäten Michigan, Princeton, Harward und JHU) vertreten. Weitere stießen später dazu. Am 16.04.1946 startete die erste A-​4  von White Sands — und geriet nach wenigen Sekunden außer Kontrolle, als eine der Finnen am Heck der Rakete abbrach. In den nächsten Monaten starteten durchschnittlich zwei Raketen pro Monat mit wechselndem Erfolg. Die Ursachen hierfür waren vielfältig. Die Komponenten der Raketen waren ja größtenteils schon vor Jahren gefertigt worden. Den amerikanischen Bodenmannschaften fehlte es an Erfahrung. Und man experimentierte auch schlicht immer wieder mit neuen technischen Lösungen. Einige der Starts dienten zudem der Erprobung vollkommen neuer Systeme, so z.B. des Ramjet-​Antriebs der Hermes oder der zweistufigen Bumper.
Die Aufstiege in große Höhen eröffneten den Wissenschaftlern aber auch neue Möglichkeiten der Forschung z.B. auf den Gebieten der Astronomie, Aeronomie oder Meteorologie. Und eben auch der Biologie. Am 23.01.1947 wurden erstmals Telemetriedaten während des Fluges einer A-​4  zum Boden übermittelt. Das eröffnete die Möglichkeit, Experimente zu fliegen, die nicht zwingend im Anschluß geborgen werden mußten (konnten). Bisher hatte man z.B. Kameras in gepanzerten Kassetten untergebracht, damit wenigstens das belichtete Filmmaterial den Aufprall überstand. Dennoch hatte die Bergung von empfindlichen Ausrüstungsgegenständen nach einem Raketenaufstieg auf große Höhen hohe Priorität. Dazu initiierte das Air Material Command das „Project Blossom“, benannt nach dem Anblick eines geöffneten Fallschirms, wurde auf sieben A-​4  Flüge angelegt, beginnend mit #20 am 20.02.1947. Das Programm begann mit einem fast schon unerwarteten Erfolg. Zwar begann die Rakete 27 s nach dem Start vom White Sands Proving Ground von der vorausberechneten Bahn abzuweichen und kurz darauf heftig zu rollen (zurückzuführen auf den Verlust einer der Finnen am Heck der Rakete). Dennoch erreichte sie 109 km Gipfelhöhe und der Nutzlastcontainer konnte noch rechtzeitig ausgestoßen werden. Entscheidend aus Sicht der Ingenieure war aber vor allem das Verhalten des neuartigen V-2 Start, White Sands, 21.11.1946 zweistufigen Fallschirmsystems. Und dieses erfüllte tatsächlich die Erwartungen. Zunächst stabilisierte ein kleinerer 2,40 m (8 ft.) Schirm den Sinkflug, bevor der 4,25 m (14 ft.) Hauptschirm öffnete. An diesem ging die Experimentenkapsel schließlich sicher in der Wüste New Mexicos nieder. Kameras und fotoelektrische Zellen hatten den Verlauf des Unternehmens dokumentiert. An Bord des Containers befanden sich u.a. zahlreiche Fruchtfliegen, an denen man die Auswirkungen der Höhenstrahlung studieren wollte. Tatsächlich sollte es der einzige Flug des Programms werden, bei dem eine sichere Fallschirmlandung des Nutzlastcontainers gelang. Für die junge Raumfahrtmedizin bedeutete dieser erfolgreiche Flug eine ihrer frühesten Sternstunden. Er schien zudem die Möglichkeit deutlich anspruchsvollerer Experimente zu eröffnen. Einer der ersten Experten, der die neuen Möglichkeiten der Raketenaufstiege für seine Forschungen erkannte, war Dr. James P. Henry vom Aero Medical Laboratory des Wright Air Development Center auf der Wright-​Patterson AFB in Ohio. Schon damals einer der führenden Experten für die Entwicklung von Druckanzügen für Piloten und aktiv auf dem Gebiet der Erforschung kardiovaskulärer Probleme im Zusammenhang mit Flügen in großer Höhe und in Verbindung mit extremen Beschleunigungen. Im April 1948 erhielt Prof. Henry unerwartet die Gelegenheit, sich mit eigenen Experimenten an einer Testreihe innerhalb des A-​4  Programms zu beteiligen. Im Rahmen des Blossom Programms wollte man das Überschall-​Rettungssystem für den Piloten des neuen X-​2  „Starbuster“ Raketenflugzeugs testen. Dieses sollte 2– bis 3-​fache Geschwindigkeit und Flughöhen jenseits der 100.000 ft. (30 km erreichen). Im Notfall ließ sich die gesamte Nase des Flugzeugs mit dem Piloten absprengen, ein Konzept, von dem man sich bessere Überlebenschancen versprach, als bei einem herkömmlichen Katapultsitz. Das Verfahren sollte nun im Rahmen des Blossom Programms unbemannte erprobt werden. Prof. Henry erhielt nun den Auftrag, für diesen Test ein Versuchstier bereitzustellen, dessen Biowerte während des Fluges telemetrisch übertragen werden sollten. Die Bergung der umfassend instrumentierten Kapsel war hingegen aus Sicht der USAF eher sekundär. Innerhalb weniger Wochen mußten das Konzept und die notwendige Hardware für eine Serie biomedizinischer Flüge entwickelt werden. Bei der Wahl eines geeigneten Versuchstiers kam man rasch auf die als Labortiere weit verbreiteten Rhesusaffen. Und selbst diese waren für den winzigen Nutzlastcontainer, den das Aero Medical Field Laboratory auf der Holloman AFB gebaut hatte, eigentlich noch zu groß. Denn die A-​4  konnte lediglich einen verkleinerten Nasenkonus des X-​2  Raketenflugzeugs Start der Blossom III Mission mit Albert Itragen. Somit mußte Albert I, der erste für das Blossom III Projekt vorgesehene Affe, regelrecht in die Kapsel gezwängt werden, wo er auf seiner Liege fixiert wurde. 45 Minuten vor dem geplanten Starttermin wurde er anästhisiert und die Elektroden angebracht, die seinen Herzschlag und die Atmung überwachen sollten. Seine Kapsel wurde mit Sauerstoff geflutet und im abtrennbaren Nasenkonus der Rakete montiert. Doch der Test wurde für die Flugmediziner ein totaler Fehlschlag. Zwar stieg die Rakete bis auf 62 km Höhe, Schub und Brennschlußgeschwindigkeit lagen allerdings unter den erwarteten Werten. Immerhin, die Abtrennung des Nasenkonus mit Albert I gelang. Doch dann entfaltete sich der Fallschirm nicht und die Kapsel konnte in der dünnen Atmosphäre nicht stabilisiert werden. Als sich der Schirm schließlich doch entfaltete, wurde er sofort in Stücke gerissen. Tatsächlich war das Experiment aber schon vor dem Start weitgehend gescheitert. Kaum war die Kapsel mit Albert I in den Nasenkonus der A-​4  eingesetzt gewesen, als die Telemtrie abbrach. Somit blieb unklar, in welchem Zustand sich das Versuchstier befand. Nahm man zunächst an, daß der Affe beim Aufprall in der Wüste New Mexicos umgekommen war, setzte sich bald die Erkenntnis durch, daß er wohl bereits viel früher gestorben war, vermutlich durch Erstickung. Albert I starb, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, im Dienst der Wissenschaft.
Die Erfahrungen aus Blossom III flossen in eine Reihe von Verbesserungen beim Nachfolgeprogramm Blossom IV ein. Vor allem wurde die Rakete etwas gestreckt, wodurch nun mehr Nutzlastvolumen zur Verfügung stand. Sieben Flüge (Blossom IV-​A bis Blossom IV-​G) fanden zwischen 1949 und 1950 statt. Zwei (lt. anderen Quellen drei) davon (Blossom IV-​B und Blossom IV-​C) hatten wieder einen Affen an Bord. Beide Versuchstiere überlebten ihren Einsatz nicht. Von Albert II konnten am 14.06.1949 immerhin Telemetriedaten empfangen werden. Demnach überstand er den Flug der A-​4  #47 bis auf über 130 km Höhe zunächst unbeschadet. Doch der Fallschirm versagte wie schon bei seinem Vorgänger. Albert III überlebte hingegen bereits die Startphase nicht. Er fand am 16.09.1949 den Tod, als seine A-​4  #32 in nur 4.200 m Höhe explodierte. Der nächste Start (Blossom IV-​D[1]) am 08.12.1949 war hingegen wenigstens wieder ein Teilerfolg. Die A-​4  Rakete #31 mit Albert IV stieg bis auf knapp 130 km Höhe. Gute Daten konnten empfangen werden.
Aerobee Start mit Affen und MäusenDie Flüge von Affen im „Project Albert“ endeten damit aber nicht. Zunächst flog am 31.08.1950 mit A-​4  #51 noch eine letzte biologische Forschungsmission im Rahmen des (bis 1951 fortgeführten) „Project Blossom“. Das Versuchstier diesmal: eine Maus. Über ihr Schicksal gibt es widersprüchliche Informationen. Einige Quellen sprechen davon, daß sie Opfer des unzuverlässigen Fallschirmsystems wurde. Andere sprechen von einer erfolgreichen Bergung. Bei diesem Flug hatte aber ohnehin die Beobachtung des Versuchstieres im Zustand der Schwerelosigkeit im Vordergrund gestanden. Dazu hatte man einen transparenten Container aus Plexiglas entwickelt, in dem sich die Maus frei bewegen konnte. Eine vom Technical Photographic Laboratory des WADC entwickelte Kamera dokumentierte das Verhalten des Versuchstiers. Die Kamera war ausgelegt, selbst den Absturz aus großer Höhe zu überstehen. Tatsächlich konnte das wertvolle Filmmaterial geborgen werden, das zeigte, daß die Maus wenig Anpassungsprobleme an die ungewohnten Bedingungen hatte erkennen lassen. Da das Ende der A-​4  (mangels weiterer einsatzklarer Exemplare) absehbar war, hatte sich die USAF schon bald nach Alternativen umgesehen. Weite Verbreitung fand die 1947 erstmals geflogene Aerobee Rakete. Trotz der geringeren Gipfelhöhe und Nutzlastkapazität erfolgten schon bald auch mit ihr biomedizinische Experimente. Die im Vergleich zur A-​4  wesentlich kleinere Rakete wies noch beengtere Platzverhältnisse auf als ihre Vorgängerin. Das erzwang eine erneute Umkonstruktion des Nutzlastcontainers. Am 18.04.1951 flog dann erstmals ein Kapuzineräffchen an Bord einer Aerobee Rakete bis auf 61 km (andere Quellen sprechen von 56 km) Höhe. Der Fallschirm, der eine sichere Landung der Nutzlastsektion ermöglichen sollte, entfaltete sich jedoch nicht und Albert V starb Albert VI (alias Yorick) nach seinem Flugbeim Aufprall. Nicht einmal die Überreste der Nutzlast konnten in dem weiträumigen Areal gefunden werden. Einem Erfolg sehr nahe kam man am 20.09.1951. Ein Rhesusaffe namens Albert VI (alias Yorick[2]) unternahm gemeinsam mit elf Mäusen einen ballistischen Flug in der Nutzlastsektion einer Aerobee X-​8  RTV-​A1  bis auf 72 km Höhe. Einschließlich der Fallschirmlandung verlief dieser planmäßig. Gute Telemetriedaten konnten empfangen werden. Filmaufnahmen dokumentierten das Verhalten von zwei Mäusen in einer Miniatur-​Zentrifuge. Doch nahm die Lokalisierung und Bergung des Nutzlastcontainers in der Wüste New Mexicos zuviel Zeit in Anspruch. Yorick und zwei der Mäuse starben nach der Landung an Hitzschlag. Zum Abschluß der Aerobee Kampagne flogen die beiden Makaken Patricia (Pat) und Michael (Mike) und zwei Mäuse (Mildred und Albert) am 21.05.1952 eine rundum erfolgreiche Mission auf 63 km Höhe (andere Quellen sprechen von 150 km). Das verbesserte Zweikappen-​Fallschirmsystem bewährte sich bei seiner Premiere. Die Versuchstiere konnten nicht nur unbeschadet sondern erkennbar in guter Verfassung geborgen werden[3]. Während die beiden Affen den Flug unter Einfluß eines Anästhetikums erlebt hatten, konnten sich die Mäuse wieder jeweils frei in ihrem Container bewegen. Ihr Verhalten bestätigte, daß selbst in der kurzen Phase der Schwerelosigkeit (ca. 2 min), die diese Flüge boten, sich die Tiere nach kurzer Zeit anpaßten.
Mit diesem Flug endete die erste Etappe von biomedizinischen Flügen in den USA. Während zeitgleich nun die Sowjetunion nun ihre Flüge mit Hunden auf Höhenforschungsraketen der der Serien R-​1  und R-​2 , später R-​5 , aufnahm, erhielt das US Programm erst wieder neue Impulse mit der Verfügbarkeit der ersten IRBMs. 1958/59 wurden sechs Starts von Thor-​Able und Jupiter Mittelstreckenraketen unternommen. Zwei endeten mit der Explosion bzw. Sprengung der Rakete, dreimal ging der Nasenkonus mit den Versuchstieren auf See verloren. Lediglich Able (Rhesusaffe) und Baker (Totenkopfäffchen) überlebten ihren gemeinsamen Flug. Weitere Flüge von Affen und kleineren Versuchstieren fanden 1959/60 zur Vorbereitung der bemannten Mercury Raumflüge statt. Dieses Programm gipfelte in Orbitalflügen von Schimpansen. Zeitgleich erprobte die Sowjetunion ihr Wostok Raumschiff mit Hunden als Versuchstieren.
Trotz der vielen Rückschläge lieferten diese frühen Experimente mit Versuchstieren wertvolle Erkenntnisse und deutliche Hinweise darauf, daß Menschen nicht nur Flüge mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit und in große Höhen unbeschadet überstehen konnten. Auch der, zumindest kurzzeitige, Aufenthalt im Weltraum schien unter physiologischen Aspekten vorstellbar. Obwohl damals nur wenige Details der Experimente freigegeben wurden, gab es darauf ein zweigeteiltes Echo in der Öffentlichkeit. Natürlich protestierten Tierschützer im In– und Ausland. Ebenso bewarben sich aber auch Menschen unterschiedlichster Herkunft darum, sich im Dienste der Wissenschaft für ähnliche Experimente zur Verfügung stellen zu dürfen…


[1] es gibt widersprüchliche Daten, ob dieser Flug im Rahmen des Blossom Programms erfolgte oder nicht
[2] die Namensgebung ging zurück auf ein Shakepeare Zitat, das ein unbekanntes Mitglied der Startmannschaft auf der A-​4 mit Albert I hinterlassen hatte; seither wurden die Versuchstiere des Programms auch inoffiziell als „Yorick“ bezeichnet
[3] beide Versuchstiere zogen danach in den National Zoological Park in Washington, DC um; Patricia starb zwei Jahre später, Mike 1967