Address:
Tod eines Kosmonauten

Hintergrundartikel

Walentin Wassiljewitsch BondarenkoZur ersten 20-​köpfigen Auswahlgruppe der zukünftigen sowjetischen Kosmonauten zählte auch Walentin Wassiljewitsch Bondarenko. Mit gerade 23 Jahren war der Oberleutnant der sowjetischen Luftwaffe der jüngste Kandidat für einen Raumflug. Und dennoch schien er den Kameraden seines Regiments am besten geeignet zu sein für die riskante Aufgabe die vor ihm lag. Auch wenn offiziell niemand wußte, vor welchem Hintergrund 1959 Expertenteams die Fliegerbasen in der ganzen Sowjetunion bereisten, um nach Kandidaten für eine nicht näher benannte gefährliche, vermutlich aber auch ruhmreiche, Aufgabe zu suchen. Vermutet wurde, daß man Testpiloten für neue Jet-​Flugzeuge suchte. Aber auch das Wort Raumflug tauchte immer wieder auf. Bondarenko galt jedenfalls trotz seiner Jugend als ausgezeichneter Pilot. Und auch der familiäre Hintergrund war angemessen für eine steile Karriere. Sein Vater hatte sich nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion freiwillig an die Front gemeldet und war als hochdekorierter Held zurückgekehrt. Seine Mutter sicherte das Überleben der Familie unter der deutschen Besetzung. Walentin Bondarenko, der am 16.02.1937 in Charkow (Ukraine) zur Welt gekommen war, lernte während seiner Oberschulzeit im Fliegerklub seiner Heimatstadt das Fliegen. Im Jahr 1954 schloß er die Schule ab und wechselte an die Militärpilotenschule von Woroschilowgrad (heute wieder Luhansk). In den Jahren darauf war er in Grosny und Armawir stationiert, wo er 1957 seine Ausbildung abschloß. Im selben Jahr heiratete er und wurde Vater eines Sohnes. Ende 1957 erfolgte die Versetzung Bondarenkos ins Baltikum. Insgesamt verfügte Bondarenko bei seiner Auswahl für das Raumfahrtprogramm über eine Flugerfahrung von 288 Stunden auf Jak-​18 , Jak-​11 , MiG-​15UTI, MiG-​15bis und MiG-​17 . Im März 1960 gehörte er dann tatsächlich zu jener kleinen Gruppe von Piloten, die mit der Vorbereitung auf das Kosmonautentraining beginnen durften. Die Mehrzahl der später tatsächlich geflogenen Kosmonauten aus der ersten Auswahl hatte bereits am 07.03.1960 das Training für den Raumflug aufgenommen. Bondarenko hingegen erhielt erst am 28.04.1960 gemeinsam mit Pawel Beljajew, Mars Rafikow und Walentin Warlamow die Zulassung zum Training. Die nachnominierten Piloten kamen verstärkt in Testprogrammen zum Einsatz, die nur mittelbar mit dem Raumflug in Verbindung standen. Und so wurde Bondarenko als Teilnehmer eines Langzeittests in einer Barokammer berufen. Derartige Versuche zählten in den 1950er und 1960er Jahren zu den wichtigsten Instrumenten der Mediziner, um Erfahrungen im Hinblick auf die Belastungen zu gewinnen, denen ein Pilot während eines Raumflugs ausgesetzt war. Hier konnten sowohl die Druckverhältnisse (Über– oder Unterdruck) simuliert werden, die während eines Raumflugs oder in einer Notsituation zu erwarten waren, als auch andere Umwelteinflüsse. So z.B. langanhaltende Isolation, Kälte, extreme Hitze, absolute Stille oder Lärm. Nicht nur physisch, auch psychisch wurde die Belastbarkeit der Kandidaten getestet. Am 13.03.1961 begann Bondarenko in einer Testkammer des Forschungsinstituts Nr. 7 der Luftstreitkräfte mit einer solchen Testreihe. Die Druck-​/Isolationskammer wurde mit einer Atmosphäre mit erhöhtem Sauerstoffgehalt bei abgesenktem Druck geflutet. Das war eine der Varianten, wie sie die Experten für die Kabinenatmosphäre eines zukünftigen Raumschiffs in Betracht zogen (und wie sie in den USA favorisiert wurde). Nach 10 Tagen näherte sich das Experiment seinem Ende. In einem Moment der Unachtsamkeit löste Bondarenko einige an seinem Körper befestigte Elektroden und reinigte die Stellen mit einem alkoholgetränkten Wattebausch, den er daraufhin in einen Mülleimer werfen wollte. Der Wattebausch verfehlte sein Ziel und landete auf der offenen Spirale einer heißen Herdplatte. In der sauerstoffreichen Atmosphäre geriet er sofort in Brand. Und nicht nur der Wattebausch. Bondarenko versuchte sofort, die Flammen zu ersticken. Das Drama wurde von den Ärzten an den Kontrollmonitoren außerhalb der Barokammer unmittelbar bemerkt. Doch um die Luke zur Kammer öffnen zu können, mußte zunächst der Druck ausgeglichen werden. Als ihn die Rettungskräfte schließlich erreichten, war Bondarenko bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, aber noch am Leben. Seine Sorge galt dem Verlauf des Experiments. „Geben Sie niemand (anderem) die Schuld. Ich bin selbst schuld…“ wiederholte er wieder und wieder, bevor er das Bewußtsein verlor. Begleitet von Juri Gagarin wurde er auf schnellstem Wege ins Wotkinsker Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte einen verzweifelten, letztlich aber hoffnungslosen Kampf um sein Leben aufnahmen. 90% seiner Haut waren verbrannt. Selbst das Legen von Infusionen mit Schmerzmitteln war angesichts der verkohlten Haut kaum möglich. Doch erst acht Stunden nach dem Unglück starb Bondarenko.
Wie in der Sowjetunion üblich, wurde der Vorfall natürlich geheimgehalten. Immerhin verfügte der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Rodion J. Malinowski am 16.04.1961, daß die Familie Bondarenkos alle Vergünstigungen erhalten sollte, die auch den Angehörigen der anderen Kosmonauten zustanden. Am 17.06.1961 wurde Bondarenko auf Erlaß des Präsidiums des Obersten Rates der Sowjetunion posthum für die „Erfüllung der gestellten Aufgabe“ mit dem Orden des Roten Sterns ausgezeichnet. Das war zwar angesichts der Umstände reiner Zynismus, verbesserte aber immerhin die soziale Absicherung seiner Hinterbliebenen. Bondarenkos Witwe arbeitete noch einige Jahre im Sternenstädtchen, bevor sie mit ihrem Sohn zu Verwandten nach Charkow zog. 
Erst in den 1980er Jahren drangen Informationen zum Tod Bondarenkos an die Öffentlichkeit. Details wurden im April 1986 mit einem Artikel in der großen Tageszeitung „Iswestija“ bekannt. Jetzt war es auch möglich, die Widmung auf seinem Grabstein „von seinen Flieger-​Freunden“ zu ergänzen. Fortan gedachten ihm dort seine „Flieger–Kosmonauten–Freunde“.
Mondkrater BondarenkoDer Tod Bondarenkos weist erschreckende Parallelen zum „Apollo 1 Feuer“ auf, dem 1967 drei US Astronauten zum Opfer fielen. Das führte zu so absurden Aussagen, wonach die Geheimhaltung der Sowjetunion zum Tod der Apollo Astronauten beigetragen hätte. Tatsächlich war man sich aber in den USA des Riskos durchaus bewußt, das man mit einer reinen Sauerstoffatmosphäre einging. Und man war der Meinung, daß die Vorteile überwogen. Auch hatte es in den USA vor und nach dem Apollo Unglück mehrere vergleichbare Unfälle in Barokammern gegeben, ohne daß das zu einer Revision der Einschätzung geführt hätte.
1991 wurde ein 30 km Krater auf dem Mond zu Bondarenkos Ehren benannt. Und seit Juli 2013 trägt die Schule № 93 in Charkow, die Bondarenko als Jugendlicher besucht hatte, seinen Namen. Sonst erinnert nicht viel an den jungen Piloten, der davon träumte, einst ins Weltall zu fliegen. Immerhin war sein Tod Anlaß genug, konstruktive und organisatorische Änderungen im Trainingsprogramm der Kosmonauten einzuführen. Und möglichweise wirkt der Unfall in der russischen Raumfahrt bis heute nach. Denn der Verwendung mit Sauerstoff hoch angereicherter Kabinenatmosphären steht man dort noch immer ablehnend gegenüber.