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Start von Mercury MA-6
John Glenn beim Einstieg in seine Mercury Kapsel
John Glenn signalisiert „alles o.k.“ vor dem Einstieg in die Kapsel
Bergung der „Friendship 7“ Kapsel
ein entspannter John Glenn an Deck des Bergungsschiffes
begeisterte Begrüßung von John und Annie Glenn durch die New Yorker Bevölkerung am 01.03.1962

Gegen Ende des Jahres 1961 zerschlugen sich endgültig die Hoffnungen der NASA, noch in diesem Jahr den Raumflug des sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin mit einer eigenen Orbitalmission zu kontern. Ohnehin war der erste bemannte Mercury-​Atlas Flug auf lediglich drei Orbits angelegt, was zwar eine Steigerung gegenüber Gagarins Flug bedeutete, jedoch wenig war gegenüber den siebzehn Erdumkreisungen, die German Titow im August mit Wostok 2 vorgelegt hatte. Auch das Jahr 1962 begann mit weiteren Verzögerungen. Probleme mit den Treibstofftanks der für den Start vorgesehenen Rakete Atlas-​109D erzwangen eine Verschiebung des Starttermins vom 16. auf den 23.01.1962. Die Wetterbedingungen führten zu einer weiteren Verlegung des Termins auf den 27.01.1962. Doch auch an diesem Tag mußte der Countdown wegen einer dichten Wolkendecke abgebrochen werden. Bei T-​20 min kam der Stop und Pilot John Glenn kletterte wieder aus seiner Mercury Kapsel #13, die er auf den Namen „Friendship 7“ getauft hatte. Die Atlas wurde enttankt und auf einen neuen Start am 01.02.1962 vorbereitet. Zwei Tage vor dem neuen Starttermin entdeckte ein Techniker, daß Treibstoff in die Isolationsschicht zwischen Treibstoff– und Oxidatortank eingedrungen war. Die notwendige Zeit zur Behebung des Problems schätzten die Experten auf bis zu 10 Tage. Unterdessen befanden sich 24 Schiffe, über 60 Flugzeuge und insgesamt 18.000 Mann weltweit in Bereitschaft, um den Flug und die Bergung von Mercury MA-​6  zu unterstützen! Der Start wurde schließlich für den 13.02.1962 neu angesetzt. Das Wetter hatte sich noch immer nicht wirklich gebessert, und so reisten nur 200 Journalisten an, gegenüber 600 beim ersten Startversuch. Und das Wetter verhinderte in der Tat bis zum 19.01.1962 die Wiederaufnahme des angehaltenen Countdowns. Dann klärte sich der Himmel aber auf und auch im Zielgebiet für die Landung herrschten perfekte Bedingungen. Am 20.02.1962 kletterte Glenn schließlich zu seiner historischen Mission in die Kapsel. Probleme mit der Kommunikation und dem Steuerungssystem der Rakete verzögerten den Countdown um 1:15 h. Beim Sichern der Einstiegsluke brach einer der 70 Bolzen und Flugdirektor Walter C. Williams ordnete seinen Austausch an. Für weitere Verzögerungen sorgten immer wieder kleinere technische Probleme. Zuletzt kam es noch zu einem Halt des Countdowns, als bei T-6:30 min kurzzeitig der Strom in der Bahnverfolgungsstation Bermuda ausfiel. Doch mit 2:17 h Verspätung startete letztlich am 20.02.1962 um 15:48 UTC die Atlas-​LV3 B Mercury mit Mercury MA-​6  von Cape Canaveral. 50.000 Menschen am Strand von Cape Canaveral und etwa 100 Millionen Menschen am Fernseher wurden live Augenzeuge dieses Ereignisses. Der Aufstieg der Atlas-​LV3 B Mercury Rakete sowie der Einschuß in die Umlaufbahn verliefen mit erstaunlicher Präzision. Die Brennschlußgeschwindigkeit lag nur 2,13 ms–1  zu niedrig, die Bahnneigung wich um ganze 0,05° ab. Allerdings lief das Rollmanöver, das die Kapsel nach der Trennung von der Rakete korrekt zum Horizont ausrichten sollte, nicht ganz so perfekt ab. Und so dauerte es einige Sekunden länger, bis die Mercury die Fluglage eingenommen hatte. Der erste Erdorbit verlief technisch unspektakulär, alle Systeme arbeiteten innerhalb der vorgegebenen Parameter. Allerdings stimmten die Anzeigen einer Konsole zur räumlichen Lage der Kapsel nicht mit der Realität überein, wie Glenn bei einem Blick aus dem Fenster feststellen konnte. Doch dann berichtete Glenn von winzigen glühenden Partikeln, die seine Kapsel umschwirrten und die er „Feuerfliegen“ taufte. Ihr Ursprung konnte nie geklärt werden (wahrscheinlich handelte es sich um Eis, das sich von der Kapsel löste) und sorgte zunächst für einige Verwirrung am Boden. Wenig später trat ein Problem mit den kleinen Lagekontrolltriebwerken der Kapsel auf. Im automatischen Regime driftete Mercury allmählich aus der vorgegebenen Lage. Ein ähnliches Problem hatte zum vorzeitigen Abbruch der Mission MA-​5  mit dem Affen „Enos“ an Bord geführt. Doch Glenn übernahm die Handsteuerung und fand zur Erleichterung der Flugleitung rasch eine Methode, die Drift mit geringstem Treibstoffverbrauch auszugleichen. Daneben fand er dennoch Zeit, sich den verschiedenen Erdbeobachtungen laut Programm zu widmen. Unterdessen signalisierten Telemetriedaten, daß sich an der Kapsel möglicherweise der Hitzschild und der aufblasbare Landedämpfer gelöst hatten. Möglichst unauffällig versuchte die Flugleitung daher, Glenn zu einigen Tests der Landesysteme aufzufordern. Der durchschaute das Manöver zwar, fragte jedoch nicht weiter nach. Auch wenn am Boden fast alles auf einen Fehlalarm hindeutete, wurde entschieden, daß nach dem Bremsmanöver die ausgebrannten Retroraketen nicht abgetrennt werden sollten. Denn deren Spannbänder sicherten den Hitzeschild zusätzlich. Während Glenn mit einigen neuen kleinen technischen Problemen kämpfte, bangte man am Boden ernsthaft um das Leben des Astronauten. Schließlich verlief aber auch der dritte Orbit ohne weitere ernste Probleme und so stellte lediglich das Wiedereintrittsmanöver noch ein ungelöstes Problem dar. Glenn steuerte den Wiedereintritt schließlich teils per Hand, teils mit dem halbautomatischen fly-​by-​wire System. Die ausgebrannten Retroraketen blieben an ihrem Platz, bis sie und die Spannbänder unter der Reibungshitze verbrannten. Offensichtlich befand sich der Hitzeschild noch an seinem Platz, doch Glenn stand einem neuen Problem gegenüber. Die Kapsel oszillierte beim Wiedereintritt weit stärker als die zulässigen 10° in jeder Richtung. Doch das Dämpfungssystem verbrauchte zuviel Treibstoff. Unstabilisiert konnte das bedeuten, daß die Kapsel schließlich kopfüber zur Erde stürzen würde, nicht in der Lage den Fallschirm auszustoßen. Glenn hatte keine andere Wahl, als die Triebwerke zu aktivieren. Doch 111 s vor der Fallschirmöffnung war der Treibstoff des automatischen Systems aufgebraucht, 60 s später auch die Reserve der Handsteuerung. Rasch nahmen die Schwingungen wieder zu. Glenn beschloß, den Fallschirm schon jetzt manuell auszustoßen, als die Automatik ihm bei etwa 8.535 m Höhe zuvorkam (Nominalhöhe etwa 6.400 m). Der weitere Abstieg verlief absolut nach Plan. Auch der Landedämpfer entfaltete sich wie vorgesehen. Zwar erfolgte die Landung von „Friendship 7“ am 20.02.1962 um 19:43 UTC nach einer Gesamtflugzeit von 4:55 h ungefähr 64 km vor dem berechneten Zielpunkt, doch die Berechnung wurde später als falsch erkannt, da man den Verbrauch an Treibstoff etc. nicht eingerechnet hatte. Der Zerstörer USS „Noa“ befand sich in Reichweite und nur 17 min später ging er längsseits und nahm die Kapsel an Bord. Glenn versuchte zunächst durch die enge Turmluke auszusteigen, gab das Unterfangen aber auf, weil diese Sektion noch zu heiß war. So sprengte er die Einstiegsluke auf und stand wenig später an Deck des Zerstörers. Amerikas erster echter Raumflug war glücklich, aber in jedem Fall auch erfolgreich zu Ende gegangen. Nach einer kurzen Erholungspause flog man Glenn per Hubschrauber auf den größeren Flugzeugträger USS „Randolph“ aus und von dort zurück in die USA.
Der charismatische John Glenn wurde nach seiner Rückkehr begeistert empfangen und rasch zum Nationalhelden. Das geschah mit tatkräftiger Hilfe der Medien und wurde von einer Imagekampagne begleitet, die aus dem Umfeld des Weißen Hauses gesteuert wurde. US Präsident John F. Kennedy pflegte eine lebenslange Freundschaft mit ihm und auch Vizepräsident Lyndon B. Johnson zeigte sich gern in der Öffentlichkeit mit Glenn. Ähnlich wie Juri Gagarin eignete sich der aus einfachen Verhältnissen stammende Glenn auch ausgezeichnet als Werbefigur sowohl für das Raumfahrtprogramm als auch für den „American Way of Life“. Da er in dieser Rolle zu kostbar war, als daß man sein Leben bei einem weiteren Raumflug aufs Spiel setzen wollte, verließ Glenn bereits 1964 die NASA und ging in die Wirtschaft, später auch sehr erfolgreich für die Demokratische Partei in die Politik. 1998 erfüllte sich dann tatsächlich sein Herzenswunsch nach einem zweiten Raumflug. An Bord der „Discovery“ flog der 77-​jährige nochmals für knapp 10 Tage ins All.