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Präsentation von „Ugoljok“ und „Weterok“ nach ihrem Flug mit Kosmos 110 (1966)
„Ugoljok“ und „Weterok“ im IBMP (1966)
Präsentation von „Weterok“ (links) und „Ugoljok“ (rechts) nach der Landung

Mit Kosmos 110 unternahm die Sowjetunion erstmals eine reine bio-​medizinische Raumfahrtmission. Der Satellit startete am 22.02.1966 mit einer Woschod 11A57  Rakete von Baikonur. Unter der Bezeichnung Kosmos 110 verbarg sich das für diesen Flug modifiziertes Woschod-​3KV Raumschiff Nr. 5 . Anfang 1965 sahen die vorläufigen Planungen des OKB-​1  von Sergej P. Koroljow ab Sommer 1965 noch die Woschod Missionen 3 bis 6 sowie einen unbemannten Langzeitflug mit zwei Hunden vor. Allerdings hatte man die Vorschläge für weitere Missionen des technisch bereits überholten Wostok/Woschod Raumschiffs nur mit wenig Enthusiasmus ausgearbeitet, da sich die Ingenieure eigentlich auf das neue Sojus-​Raumschiff konzentrieren wollten. Als der größte Förderer des Raumfahrtprogramms, Nikita S. Chruschtschow, im Oktober 1964 entmachtet wurde, folgten umfassende Reorganisationsmaßnahmen, die auch die Vorbereitungen für die nächsten bemannten Raumflüge in den Wartestand versetzten. Spätestens ab 1966 machten die USA zudem mit ihrem Gemini Programm alle Hoffnungen auf spektakuläre Erstleistungen zunichte. Die begrenzten Kapazitäten des Woschod Raumschiffs zeichneten sich nur zu deutlich ab. Probleme bereitete insbesondere das Lebenserhaltungssystem. Und dieses mußte unbedingt zuverlässig arbeiten, wollte man den USA mit einem 18 Tage Langzeitflug wenigstens den Flugzeitrekord wieder entreißen. Daher wurde nach Koroljows Tod das Woschod Programm kritisch betrachtet und zunächst lediglich die unbemannte Langzeitmission u.a. zwecks Test der Lebenserhaltung bestätigt, Woschod 6 dagegen bereits definitiv gestrichen. In der Woschod Kapsel war für die kommende Mission eine eigene Kabine für die Hunde „Weterok“ (Haupt-​Versuchstier) und „Ugoljok“ (Kontrolltier) installiert worden. Betreut wurde das Programm u.a. von Professor Jewgeni A. Iljin, einem Wissenschaftler der selbst zeitweise Kandidat für einen zweiwöchigen bio-​medizinischen Forschungsflug im Woschod Programm gewesen war, und dem Raumfahrtmediziner/Kosmonauten Boris Jegorow. Die für bemannte Langzeitmissionen an der Woschod vorgenommenen Modifikationen ermöglichten mit Kosmos 110 einen 25-​tägigen Forschungsflug (beim Training der Versuchstiere hatte sich zudem gezeigt, daß sich unter irdischen Bedingungen deren Zustand nach etwa drei Wochen spürbar verschlechterte). Untersucht werden sollten neben den Auswirkungen langanhaltender Schwerelosigkeit insbesondere Aspekte der Strahlenbelastung in den inneren van-​Allen-​Strahlungsgürteln, weswegen die Bahn auch im Apogäum deutlich höher als bei früheren bemannten Flügen lag. Die Woschod Kabine war mit neuen Schutzmaßnahmen gegen die Strahlung ausgestattet, außerdem wurden pharmazeutische Mittel erprobt. Dazu wurden die Tiere über Sonden künstlich ernährt, was die Zugabe von Medikamenten ermöglichte. Um eine Verschmutzung der Kabine durch Fäkalien zu verhindern, mußte ein spezielles Aufnahmesystem entwickelt werden. Es erwies sich allerdings als unmöglich eine Lösung zu finden, ohne die Schwänze der Hunde zu kupieren. Einige Tage nach dem Start, am 26.02.1966, wurden erstmals zwei Live-​Übertragungen aus dem Raumschiff im sowjetischen Fernsehen ausgestrahlt, die die Hunde in guter Verfassung zeigten. Am 14.03.1966 hatten sich die Werte des Lebenserhaltungssystems der Kapsel spürbar verschlechtert. Die Qualität der Atemluft ließ immer mehr nach. Obwohl die Werte noch innerhalb der Grenzwerte lagen, wurde die Mission daher verkürzt. Nach knapp 22 Tagen im Orbit landete die Kapsel sicher, wenn auch mit einer Zielabweichung von 60 km, in der Region Saratow. Etwa eine halbe Stunde später wurde eine erste siebenköpfige Gruppe von Experten per Fallschirm an der Landestelle abgesetzt. Die Mission lieferte umfangreiche biomedizinische Daten (den Tieren waren verschiedene Sensoren implantiert worden) und war auch technologisch gesehen ein Erfolg, wenn auch das erneute Versagen des Lebenserhaltungssystems Fragen hinsichtlich einer möglichen Woschod 3 Mission aufwarf. Nach der Landung benötigten die Versuchstiere eine längere Zeit zur Anpassung an die irdische Schwerkraft, befanden sich aber sonst nach offiziellen Angaben in gutem Zustand. Das war jedoch reine Propaganda. Ganz im Gegenteil waren die Ärzte von dem schlechten Zustand der Tiere geschockt, als sie am Abend des 17.03.1966 im Moskau eintrafen. Ihre Muskeln waren degeneriert, der Körper dehydriert, die Knochen zeigten starken Kalziumverlust und die Anpassung an die irdische Schwerkraft verlief schleppend. Die Tiere, die den ganzen Flug in einer Art textilem „Korsett“ verringen mußten, hatten darunter großflächig das Fell verloren und litten unter „Windeldermatitis“ und Dekubitus. Mit Mühe konnten sie zur Präsentation in einer beliebten abendlichen Fernsehsendung hergerichtet werden. Tatsächlich erholten sich die Tiere aber von den Strapazen und überstanden auch die Operationen, bei denen ihnen die eingesetzten Sonden wieder entfernt werden mußten. Beide Tiere erhielten ihr verdientes Gnadenbrot am IBMP (Институт Медико-​Биологических Проблем), dem Institut für Biomedizinische Probleme. Auch die Nachfahren von „Ugoljok“ kamen in die Hände von Mitarbeitern. Die Auswirkungen von Strahlung und Schwerelosigkeit wurden während des Kosmos 110 Fluges nicht nur an den beiden Versuchstieren untersucht. Auch Algen, Hefen, Blutplasma, Proteine und lysogene Bakterien befanden sich in der Kabine. Insgesamt lieferte der Flug der Sowjetunion ähnliche Erkenntnisse hinsichtlich einer bemannten Mondmission, wie sie die USA im Gemini Programm erlangten. Die Bewertung der Risiken fiel jedoch deutlich pessimistischer als in den USA aus.
Nach dem Start von Kosmos 110 begannen zahlreiche Spekulationen um eine bevorstehende spektakuläre bemannte Mission zu zirkulieren. Einige Quellen gingen von einem Doppelstart zweier manövrierfähiger Woschod Kapseln mit zwei bzw. drei Kosmonauten am 06.03.1966 oder später aus. Diese sollten danach ein Rendezvous im Orbit erreichen und etwa einen Monat die Erde umkreisen. Am 10.03.1966 wurde jedenfalls ein Fernsehteam des staatlichen Moskauer Fernsehens in Alarmbereitschaft versetzt, um von einem bedeutenden bevorstehenden Ereignis zu berichten. Doch nichts geschah. Inoffizielle Quellen meldeten schließlich, daß ein Blizzard in Kasachstan den Abbruch des Countdowns erzwungen hätte. Andere Quellen gehen davon aus, daß der Start im letzten Augenblick gestoppt wurde, um die Aufmerksamkeit nicht von dem am 21.03.1966 beginnenden Parteitag der KPdSU abzulenken, was jedoch unsinnig ist, da solche Starts regelmäßig gerade aus Anlaß von Parteitagen etc. stattfanden. Tatsächlich kämpften zu dieser Zeit Techniker an der Überwindung verschiedener technischer Probleme, die eine bemannte Woschod 3 Mission in Frage gestellt hatten. Schließlich wurde das Woschod Programm sang– und klanglos eingestellt, obwohl zu Woschod 3 nie eine definitive Entscheidung bekanntgegeben wurde. Dem ZKBEM (vormals OKB-​1 ) eröffnete sich damit aber die Chance, sich voll auf das Sojus Raumschiff zu konzentrieren. Eingeweihte wußten da längst, daß dessen Entwicklung mehr als ein Jahr hinter den Vorgaben zurück lag. Offiziell war der Beginn der Flugerprobung aber noch für 1966 geplant, so daß sich nach Woschod 2 keine allzu große Lücke ergeben würde.