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Bordleben während der Reparaturphase
Bordleben während der Reparaturphase
Wladimir Dshanibekow an Bord von Saljut 7

Zu einer Mission, die Raumfahrtgeschichte schreiben sollte, starteten am 06.06.1985 von Baikonur die beiden erfahrenen sowjetischen Kosmonauten Wladimir Dshanibekow und Viktor Sawinych. An Bord des Sojus T-​13  Raumschiffs, das an diesem Tag um 06:40 UTC an der Spitze einer Sojus-​U2 11A511U2 abhob, waren eine Reihe von Spezialwerkzeugen und Geräten verstaut, die die Kosmonauten voraussichtlich bei ihrer schwierigen Mission benötigen würden. Denn ihr Ziel war die Raumstation Saljut 7, die seit Februar 1985 nicht mehr auf die Kommandos der Flugleitung reagierte. Nach dem zunächst harmlosen Ausfall eines Funksenders am 11.02.1985 hatte der Schichtleiter in der Flugleitung wiederholt versucht, daß Gerät erneut in Betrieb zu nehmen. Das führte schließlich zu einem Kurzschluß, der sich lawinenartig durch das elektrische System der Station ausbreitete. Innerhalb kürzester Zeit waren die Pufferbatterien entladen und Saljut 7 reagierte auf keine Funkbefehle mehr. Aber auch die automatischen Systeme an Bord waren ohne Strom. Die Station war vollständig außer Kontrolle geraten, konnte ihre räumliche Lage nicht mehr stabil halten und war praktisch ohne elektrische Energie, da die Solarzellen­flächen nicht mehr zur Sonne ausgerichtet waren. Westlichen Experten fiel das erratische Verhalten der Station bald darauf auf und sie zogen die entsprechenden Schlüsse. Die meisten rechneten aber eher mit dem Start einer Saljut 8 Station als mit einer Rettungsmission. Unter diesen schwierigen Bedingungen mußten die Kosmonauten ein manuelles Rendezvous vornehmen, wobei u.a. Nachtsichtgeräte und ein Laser-​Entfernungsmesser helfen sollten. Der Sojus-​Bordrechner war mit Bahndaten von Saljut 7 gespeist worden, die die Raketenabwehrtruppen ermittelt hatten. Dshanibekow und Sawinych, zwei erfahrene Kosmonauten, meisterten das schwierige Manöver, das sie am Boden immer und immer wieder trainiert hatten. Am 08.06.1985 um 08:50 UTC koppelten sie nach zweitägigem Flug an der Raumstation an. Es folgten Tage an der Grenze der Belastbarkeit für die beiden Kosmonauten. Die Innentemperatur der Raumstation lag anfänglich bei unter –20 °C. Wasserleitungen waren geborsten, elektrische Installationen verschmort. Am ersten Tag wurden die Sojus Triebwerke genutzt, um die blockierten Solarzellenflächen der Raumstation bestmöglich auf die Sonne auszurichten. Nach fast 24 Stunden Arbeit kehrten Dshanibekow und Sawinych in ihre Sojus Kapsel zurück. Stück für Stück konnten an den folgenden Tagen die Installationen ausgetauscht oder repariert werden, allmählich taute die Station wieder auf. Die erste Pufferbatterie war am 10.06.1985 wieder einsatzbereit. Währenddessen wohnten die Kosmonauten weiter in der engen, aber wenigstens warmen Sojus-​Kabine. Am 13.06.1985 erfolgten erste Tests mit dem Orientierungssystem der Station und den Triebwerken. Am 16.06.1985 gab es wieder Licht und fließend Wasser an Bord, die Temperatur lag im Plusbereich. Rechtzeitig bevor die mitgebrachten knappen Lebensmittelvorräte aufgebraucht waren, konnten Dshanibekow und Sawinych wieder auf die noch vorhandenen Vorräte der Station zugreifen. Bereits am 19.06.1985 waren, unglaublich, erste wissenschaftliche Experimente aufgenommen worden. Einen Tag vor dem Ankoppeln der Versorgungsraumschiffs Progress 24 am 23.06.1985 konnten alle grundlegenden Reparaturen abgeschlossen werden. Eine in der Geschichte der Raumfahrt bisher einmalige Rettungsaktion war damit, formal, erfolgreich abgeschlossen worden. Tatsächlich dauerte es aber noch zwei Monate, bis die Lebenserhaltungssysteme die Luftfeuchtigkeit in der Station auf den regulären Wert abgesenkt hatten. Andere Reparaturen zogen sich ebenfalls noch über Monate hin oder wurden nie vollzogen.
Bis heute ranken sich um die Rettungsmission zahlreiche Mythen. Die beiden Kosmonauten erfuhren nach ihrer Rückkehr zur Erde eine über das gewohnte Maß hinaus gehende Würdigung durch Partei und Staat, obwohl die Umstände des Kontrollverlusts wie auch der Rettung lange geheim gehalten wurden. Seit langem hatte keine noch so heroische Leistung eines Sowjetbürgers in der Bevölkerung ein solches Gefühl von Stolz ausgelöst. Was vielleicht auch daran lag, daß viele dieser „Leistungen“ eher dem Wunschdenken der Propagandisten entsprangen. Andere Heldentaten wiederum durften nicht als solche bekannt werden, weil sie sich im Kontext schwerer Katastrophen ereignet hatten. Und diese durfte es im Kommunismus ja eigentlich gar nicht geben. Bald schon kamen Gerüchte auf, daß die USA geplant hatten, die Saljut 7 im Rahmen eines überraschenden Shuttle Fluges „zu kapern“. Tatsächlich entsprachen die Abmessungen der Raumstation nahezu exakt denen der Nutzlastbucht des Space Shuttle. Punkte wie die Fixierung der Raumstation in der Nutzlastbucht, das zulässige maximale Landegewicht des Shuttle oder die bestehende Brand– und Explosionsgefahr der „Fracht“ wurden dabei natürlich ausgeblendet. Ebenso die unabsehbaren politischen Verwicklungen, die ein solch unfreundlicher Akt mit sich bringen mußte. In den USA wiederum hält sich das Gerücht, daß ausgerechnet der damaige US Präsident Ronald Reagan, eher als „Falke“ und „Kalter Krieger“ denn als „Taube“ bekannt, geplant hatte, der Sowjetunion einen gemeinsamen Shuttle Flug zu Saljut 7 vorzuschlagen. Als er am 24.03.1985 seine angekündigte Rede vor dem National Space Club hielt, ging Reagan auf das Thema aber in keiner Weise ein.
2011 griff dann ausgerechnet das Filmstudio der russischen Raumfahrtbehörde Roskomos den Mythos von der geplanten Kaperung der Raumstation wieder auf. Normalerweise produzierte man dort seriöse Dokumentationen. Doch Битва за Салют. Космический детектив gehörte eher in die Kategorie Mockumentary. Sechs Jahre später war man beratend bei der Produktion des Kinofilms Салют-​7  tätig, der im Blockbuster-​Format das Thema erneut aufgriff. Der war immerhin nur „angelehnt“ an die realen Ereignisse des Jahres 1985 und primär ein aufwendig produzierter Action-​Film ohne Anspruch auf historische Genauigkeit.