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Start des „Sarja“ Moduls
Blick auf den Mehrfachdockingadapter des FGB Moduls
Blick auf den „Sarja“ Basisblock der ISS (aufgenommen bei STS-88)

Mit dem Start einer dreistufigen Proton-​K 8K82 K Rakete am 20.11.1998 vom Kosmodrom Baikonur nahm das größte Projekt der jüngeren Raumfahrtgeschichte, der Aufbau der Internationalen Raumstation ISS, tatsächlich Formen an. Anfang der 1990er Jahre hatten sowohl die USA als auch Rußland an Konzepten für eine neue Raumstation gearbeitet. Rußland stützte sich dabei auf die Pläne für eine Mir-​2, die noch aus Sowjetzeiten stammten und auf dem erfolgreichen modularen System der Mir basierten. Doch angesichts des rasanten wirtschaftlichen Niedergangs, der die ehemaligen Sowjetrepubliken erfaßt hatte, war an eine Umsetzung nicht zu denken. Mit großer Mühe (und Unterstützung der NASA) konnte wenigstens das Aushängeschild der russischen Raumfahrt, die Raumstation Mir, einsatzbereit gehalten werden. Die NASA wiederum stand vor der Aufgabe, eine hochmoderne Raumstation aufzubauen, ohne daß ihr das entsprechende Budget bewilligt worden war. Bereits 1984 hatte der damalige US Präsident Ronald Reagan in einer Rede an die Nation den Bau einer Raumstation namens „Freedom“ angekündigt. Ausgelegt für vier Astronauten sollte sie mehr als das doppelte Volumen bieten wie die erste US Raumstation „Skylab“. Im Laufe der nächsten Jahre war das Design zahllosen Veränderungen unterworfen. Im Herbst 1988 wurden tatsächlich erste konkrete Aufträge an die Industrie vergeben. Doch in den folgenden Jahren kam es zu wiederholten Budgetkürzungen, die das Projekt weiter zurück warfen. 1993 war „Freedom“ praktisch tot. Und das, obwohl die Designphase abgeschlossen und ein Großteil der Aufträge vergeben war. Ja sogar diverse Baugruppen waren inzwischen gefertigt worden. In dieser Situation gaben die USA und Rußland im September 1993 nach intensiven Vorgesprächen bekannt, ihre nationalen Raumstationsprojekte zusammenlegen zu wollen. Die Internationale Raumstation war geboren. Japan mit dem Japanese Experiment Module (JEM) „Kibō“ und Europa mit dem „Columbus“ Programm blieben Partner.
Ausgangspunkt für den Bau der ISS sollte nach den 1993/94 ausgearbeiteten Planungen der sogenannte Functional Cargo Block sein. Dieser sollte über die grundlegenden Kontrollfunktionen für die Aufbauphase der Station verfügen, also z.B. Lageregelung, Energieversorgung und Kommunikation. Den Auftrag für das Modul erhielt der Boeing Konzern, der jedoch wiederum der russischen Chrunitschew-​Konzern mit der Lieferung eines modifizierten FGB (von russ. Функционально Грузовой Блок) Moduls aus dem TKS-​Raumschiffprogramm beauftragte. Die FGB Module hatten sich im Mir Programm ausgezeichnet bewährt. Im Dezember 1994 begannen offiziell die Arbeiten an diesem FGB. Im Wesentlichen bestand der FGB aus einer zylindrischen Instrumentensektion (russ. Рриборно-​Грузовой Отсек) und der sphärischen Dockingsektion. Im Gegensatz zum bekannten Mehrfach-​Dockingadapter der Mir waren hier nur jeweils ein axialer und ein radialer Dockingport vorgesehen (ein dritter Kopplungspunkt lag axial in Gegenrichtung an der PGO Sektion). Zwei je 28 m² große Solarzellenausleger stellten die Energieversorgung sicher.
Obwohl man in Rußland auf einem umfangreichen Erfahrungsschatz aufbauen konnte, geriet der Bau des Moduls schon bald ins Stocken. Finanziell war Chrunitschew komplett von den Zahlungen aus den USA abhängig. Doch vor allem bei den Zulieferfirmen war die Situation desaströs. Dazu kam, daß immer mehr qualifizierte Fachkräfte die schlecht zahlenden Staatsunternehmen verließen. Zu den technisch, finanziellen und organisatorischen Problemen gesellten sich Irritationen, die aus der unterschiedlichen (Arbeits-)Kultur in Rußland und den USA resultierten. Nachdem die westlichen Partner des damals noch unter dem Arbeitstitel „Alpha“ laufenden Raumstationsprogramms Rußland immer wieder Fristverlängerungen zum Erreichen der Meilensteine beim Bau der Module gewährt hatten, riß im Frühjahr 1998 dem NASA Administrator Daniel Goldin der Geduldsfaden. Im Sommer 1998 stellte er seinen Notfallplan vor, der einen Baubeginn unter Zuhilfenahme eines auf die absoluten Mindestfunktionen beschränkten US Moduls vorsah. Ohnehin ging man mittlerweile von einer Fertigstellung der Station erst im Jahr 2004 oder gar 2007 aus. Vier Jahre hinter dem Plan. Dies vor allem, weil sich auch das russische Wohnmodul („Swjesda“) immer mehr verspätete. Daß sich dieser Zeitplan noch aus ganz anderen Gründen als zu optimistisch erweisen sollte, konnte damals noch niemand ahnen. Als nun die Proton mit dem Funktionsmodul tatsächlich den Orbit erreichte, ein Jahr hinter dem vereinbarten Termin, waren aber doch alle Partner erleichtert.
Beim Start waren die meisten Systeme des inzwischen auf den Namen „Sarja“ getauften FGB inaktiv. Das war einerseits eine Sicherheitsmaßnahme, sollte andererseits aber auch die Ressourcen schonen. Nach der Trennung von der dritten Raketenstufe aktivierte der Bordcomputer einen Großteil der Systeme und im Zusammenspiel mit dem Kontrollzentrum wurde ihre Funktion verifiziert. Dabei wurden im wesentlichen drei Anomalien festgestellt: der Ausfall einer Pufferbatterie, zwei blockierte Antennen und eine zu hohe Luftfeuchtigkeit im Inneren des Moduls. Die seit Dezember 1998 um das US Knotenmodul „Unity“ erweiterte „Sarja“ übernahm im Juli 2000 den aktiven Part beim Rendezvous mit dem konstruktiv ähnlichen russischen „Swjesda“ Modul. Im Laufe des Ausbaus der ISS reduzierte sich die Funktion von dann „Sarja“ zunehmend auf die Bereitstellung von Stauraum. Einige Systeme dienten als Backup für solche anderer Module. 2007 wurden auch die Solarzellenflächen eingefahren. Dennoch blieb „Sarja“ einer der zentralen Knotenpunkte der ISS.