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der Sojus Startkomplex von Wostotschny vor dem ersten Start
erster Start vom Kosmodrom Wostotschny
Rocketcam-Aufnahmen vom ersten Sojus-Start in Wostotschny
MVL-300 (links) auf dem Nutzlastadapter, rechts Aist 2D

Der mit vielen hochfliegenden Erwartungen verbundene Jungfernflug der Sojus-2.1a 14A14 mit Wolga 14S46 Bugsierstufe fand am 28.04.2016 statt. Dabei galt die Aufmerksamkeit weniger der Tatsache, daß es sich um den Jungfernflug einer neuen Variante der Sojus-​Rakete handelte (sowohl die Sojus-2.1a als auch die Wolga-​Oberstufe waren für sich bereits mehr oder weniger erprobt). Auch die Nutzlasten der Rakete waren eher unspektakulär. Das Besondere war, daß mit diesem Flug das neue russische Kosmodrom Wostotschny eingeweiht wurde. Der damalige Präsident Wladimir W. Putin hatte am 21.11.2007 das Dekret zur Einrichtung eines neuen Kosmodroms auf russischem Boden unterzeichnet, das perspektivisch vollständig die Installationen des (seit der Auflösung der Sowjeunion auf kasachischem Boden befindlichen) Baikonur ablösen sollte. Ende 2008 war dann die Auswahl des Standorts gefallen, wobei sich ein Areal in Amur Region zwischen den Städten Swobodny und Uglegorsk durchsetzte. Ironischerweise war Swobodny selbst Namensgeber des formal von 1996 bis 2007 dort befindlichen gleichnamigen Kosmodroms. Dessen Errichtung hatte am 01.03.1996 der damalige Präsident Boris N. Jelzin angewiesen. Auch damals gab es die Intention, sich auf dem Raumfahrtgebiet von Kasachstan unbhängig zu machen. Das Projekt blieb jedoch hoffnungslos unterfinanziert. Nicht einmal der Umbau der vorhandenen UR-​100 N Raketensilos für die zivilen Strela– bzw. Rockot-​Raketen wurde vollzogen. Lediglich fünf Satelliten wurden zwischen 1997 und 2006 mit unterschiedlichen Versionen der Start-​Feststoffrakete, einer zivilen Ableitung der mobilen Topol Interkontinentalrakete, gestartet. Bis die Erschließungsarbeiten für das neue Kosmodrom Wostotschny begannen, sollten aber noch einige Jahre vergehen. Ursprünglich war der Baubeginn für das Jahr 2010 vorgesehen gewesen, die Fertigstellung acht Jahre später. Tatsächlich rückten die Bauarbeiter aber erst im Sommer 2012 an. Eine zentrale Rolle sollte Wostotschny als Startort der verschiedensten Varianten der neuen russischen Raketenfamilie Angara spielen. Doch auch deren Serienreife verzögerte sich Jahr um Jahr. Daher rückte die Fertigstellung der Angara Infrastruktur zunächst in den Hintergrund und man konzentrierte sich auf einen Startkomplex für die Sojus-​Rakete. Dabei konnte man glücklicherweise auf die Erfahrungen mit dem neuen Startkomplex für die Sojus im südamerikanischen Kourou zurückgreifen. Waren es dort die tropischen Bedingungen, vor denen die Rakete in einem mobilen und klimatisierten Serviceturm geschützt werden mußte, handelte es sich in Wostotschny um das sprichwörtliche sibirische Klima, das den Planern Sorgen bereitete. Bald schon zeichneten sich ernste Probleme mit dem Prestigeprojekt des neuen Kosmodroms ab. Trotz einer insgesamt wohl ausreichenden Finanzierung kamen erhebliche Mittel offenbar nicht vor Ort an, sondern wurden von korrupten Beamten und Unternehmern veruntreut. Auch die technischen Hürden waren natürlich nicht unerheblich und Verzögerungen durchaus verständlich. Schließlich bekam der russische Vizepremier Dmitri O. Rogosin die Verantwortung für das Projekt übertragen. Selbst der Inlandsgeheimdienst FSB nahm Korruptionsermittlungen auf. Doch der damalige Roskosmos Direktor Oleg N. Ostapenko verwies auf ein anderes Problem: anders als zu Sowjetzeiten hatte es sich als unmöglich erwiesen, die notwendige Zahl an Fachkräften für die Arbeit im fernen Sibirien zu rekrutieren. Obwohl sich zuletzt auch Präsident Putin persönlich um den Fortgang der Arbeiten kümmerte und mit Besuchen vor Ort Druck aufbaute, wurde im Laufe des Jahres 2015 zunehmend klar, daß der fest eingeplante Termin für die Einweihung des Kosmodroms zum Ende des Jahres nicht haltbar war. Immerhin war ein großer Teil der Wohnstadt Ziolkowski samt Kommunal– und Sozialeinrichtungen fertiggestellt, die Energie-​, Wasser– und Wärmeversorgung sowie die technischen Installationen für den Sojus-​Startkomplex. Doch die Abnahme der zahlreichen technischen Anlagen auf dem Kosmodrom würde Monate dauern. Nachbesserungen nicht eingeschlossen. Schließlich verkündete Putin selbst überraschend, daß die Arbeiten mit Sorgfalt abgeschlossen werden sollten, statt einen imaginären Termin einzuhalten. Gleichzeitig äußerte er aber, daß er den 12. April 2016, den 55. Jahrestag des Raumflugs von Juri Gagarin, schon für einen angemessenen Termin halte… Tatsächlich fand an diesem Tag dann die offizielle Eröffnungszeremonie statt. Für den ersten Start war man aber noch immer nicht bereit. Immerhin liefen jedoch die letzten Abnahmetests. So hatte am 21.03.2016 erstmals eine Sojus-​Rakete auf dem Startkomplex gestanden. Schließlich reiste Präsident Putin zu dem historischen Start an. Doch trotz der intensiven Vorbereitung kam es zu einem blamablen Startabbruch in den letzten anderthalb Minuten vor dem Start, als die Automatik einen Defekt an einem Ventil im Außenblock G der Rakete erkannte. 24 Stunden später gelang dann bei perfekten äußeren Bedingungen ein fehlerfreier Start. Offenbar aus Sorge vor einem PR-​Desaster gab es jedoch keine Live-​Übertragung des Starts. Erst eine Stunde nach dem Start konnten die russischen Medien erste Videos und Bilder präsentieren.
Trotz aller Probleme und Unzulänglichkeiten war es Rußland damit tatsächlich gelungen, die erste Etappe des laut Putin „größten gesamtnationalen Projekts“ erfolgreich abzuschließen. Und das mit einer, für ein Unternehmen dieser Größe, akzeptablen Verspätung von einigen Monaten. Insgesamt war die Schieflage des Projekts aber unverkennbar. Von den Vorstellungen, ab 2018 hier auch bemannt zu starten, war nicht viel übriggeblieben. Dazu kam die neuerliche wirtschaftliche Krise in Rußland, verschärft durch das westliche Embargo nach der Annexion der Krim. Bezeichnend war die Bekanntgabe von Roskosmos, frühestens 2017 den nächsten Start von Wostotschnij unternehmen zu wollen. Und das, obwohl für die Sojus ja nun eine funktionierende Infrastruktur errichtet war, die auch unterhalten werden mußte. Bis dahin konnten die Schäden am Startkomplex (auf den Startvideos waren eine losgerissene Stahltür sowie die herausgerissene und in den Flammschacht geschleuderte Abdeckung einer Versorgungsebene deutlich sichtbar) in aller Ruhe behoben werden. Daß Putin die Enttäuschung über die verspätete Fertigstellung des Kosmodroms ebensowenig verwunden hatte wie die über den Zwischenfall beim ersten Startversuch, wurde auch noch deutlich. Er gratulierte Roskosmos und den Erbauern von Wostotschny zum erfolgreichen Start. Gleichzeitig „verwarnte“ er aber seinen Vizepremier Rogosin (als Verantwortlichem für die Überwachung der Raketen– und Raumfahrtindustrie) und den neuen (seit Januar 2015 amtierenden) Roskosmos Chef Igor A. Komarow. Die Kritik bezog sich ausgerechnet darauf, daß diese die Lieferung der Sojus-​Rakete noch vor Jahresende 2015 angeordnet hatten, obwohl das Kosmodrom für die Entgegennahme noch gar nicht vorbereitet gewesen war! Eine Disziplinarmaßnahme wurde zudem gegen den Generaldirektor von NPO Automation, Leonid N. Schalimow, verhängt. Sein Unternehmen hatte das defekte Kabel geliefert, das zu dem Sensorausfall am Ventilblock der Sojus-​Grundstufe geführt hatte. Schalimow, ein anerkannter Ingenieur-​Wissenschaftler (korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften) reichte daraufhin seinen Rücktritt als Generaldirektor ein.
Drei Nutzlasten hatten die Gelegenheit zum Mitflug auf der ersten Sojus-2.1a 14A14 mit Wolga 14S46 Bugsierstufe erhalten: der Forschungssatellit MVL-​300  „Michail Lomonossow“, der experimentelle Erderkundungssatellit Aist 2D und der studentische CubeSat SamSat 218D. MVL-​300 basierte auf dem Satellitenbus, den der Hersteller VNIIEM für die Erderkundungssatelliten Kanopus-​V und BelKa 2 entwickelt hatte. Tatsächlich handelte es sich wohl um ein Reserve– bzw. Qualifikationsmodell. Die Mission von MVL-​300 war jedoch auf die Erforschung von Gammastrahlungsausbrüchen gerichtet. Sowohl mittels Detektoren als auch unter Einsatz eines Kamerasystems. Eines der Hauptinstrumente war TUS (Трековая Уcтановка), ein Fresnel-​Spiegel aus sechs Einzelmodulen mit einer Gesamt-​Konzentratorfläche von 1,8 m² und einem Arrangement von UV-​Detektoren im Zentrum. Röntgen– und Gammastrahlendetektoren, eine Superweitwinkel-​Kamera, Dosimeter für Elektronen, Protonen und Neutronen, ein Flux Gate Magnetometer u.a.m. zählten zur weiteren wissenschaftlichen Ausrüstung. Neben Wissenschaftlern der Lomonossow-​Universität Moskau und anderer russischer Institute waren Universitäten aus Südkorea, den USA, Dänemark, Spanien, Mexiko und Taiwan an der Ausrüstung des Satelliten beteiligt gewesen. Wenige Tage nach dem Start lieferte MVL-​300  „Michail Lomonossow“ (so benannt aus Anlaß des 300. Geburtstags des russischen Universalgelehrten und Namengebers der Staatlichen Universität Moskau, Michail W. Lomonossow) die ersten wissenschaftlichen Daten. Auch vom Erderkundungssatelliten Aist 2D gingen bald erste Aufnahmen ein. Der Satellit war an der Staatlichen Universität für Luft– und Raumfahrt in Samara (russ. СГАУ, engl. SSAU) mit Unterstützung von RKZ (ZSKB) Progress entworfen und gebaut worden. Wichtigstes Instrument war ein Multispektral-​Imager, der Aufnahmen mit 4,5 m Auflösung (1,5 m panchromatisch) liefern sollte. Dazu kam ein neuartiges bistatisches P-​Band Radar (SAR). Dessen Auflösung sollte 5 m erreichen und zudem, je nach Bodenbeschaffenheit, auch Objekte bis zu einer Tiefe von einigen zehn Zentimetern bis zu zehn Metern zeigen. Ebenfalls Studenten der SSAU hatten den 3U CubeSat SamSat 218D gebaut. Mit ihm sollte ein aerodynamisches Stabilisierungssystem erprobt werden. Nach dem Start konnte jedoch kein Kontakt zu ihm aufgebaut werden. Die Mission von Aist 2D entwickelte sich hingegen zu einer echten Erfolgsgeschichte. Bis unmittelbar vor seinem Wiedereintritt, fast genau acht Jahre nach dem Start, übertrug der Satellit qualitativ hochwertige Erdaufnahmen, die vielfältige Anwendung fanden.