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Karel Jan „Charlie“ Bossart

Techniker

Karel Jan „Charlie“ Bossart
…kam am 09.02.1904 im belgischen Antwerpen zur Welt. Nach seinem Schulabschluß studierte er an der Vrije Universiteit in Brüssel, die er 1925 als Bergingenieur verließ. Seine ausgezeichneten Leistungen eröffneten ihm die Möglichkeit, mit einem Stipendium der „Belgisch-​Amerikaans onderwijs stichting“ (engl. „Belgian American Educational Foundation“) ans Massachusetts Institute of Technology in die USA zu wechseln. Hier entschied er sich für ein Studium des Flugzeugbaus. 1927 erlangte er den Master of Science Titel auf diesem Gebiet. Spezialisiert hatte er sich dabei auf den Entwurf von Flugzeugstrukturen. Mit dieser Qualifikation kehrte er nach Belgien zurück, um dort zunächst seinen Wehrdienst abzuleisten. Für kurze Zeit war er später für den Service Technique de l’Aeronautique beim belgischen Verteidigungsministerium tätig. Anfang 1930 siedelte er in die USA über und begann für eine Reihe namhafter Unternehmen, insbesondere aus der Luftfahrtbranche, zu arbeiten. Darunter waren die Sikorsky Aircraft Corporation aus Bridgeport und die General Aviation Corporation aus Baltimore. 1936 erhielt der amerikanische Staatsbürgerschaft. Zwei Jahre später heiratete er Cornelia Newell Chase, mit der er drei Kinder hatte. Zwischen 1937 und 1939 war Bossart für die Aircraft Division der Edward G. Budd Manufacturing Corporation in Philadelphia tätig. Dieses Unternehmen fertigte auch Eisenbahnwaggons unter Einsatz von Edelstahl, einem damals noch relativ neuen Werkstoff, der als schwer zu verarbeiten galt. Die Erfahrungen, die er dort sammeln konnte, sollten seinen späteren Weg als Ingenieur maßgeblich prägen. Weitere berufliche Stationen waren 1940 die Fleetwings Inc. in Bristol und die Spencer Larson Aircraft Corporation in New York, kleine innovative Flugzeughersteller. 1941 wechselte Bossart zur Vultee Aircraft Corporation. 1943 verschmolz diese mit der Consolidated Aircraft Corporation zur Consolidated Vultee Aircraft Corporation, kurz Convair. Diesem Unternehmen sollte er für den Rest seiner Ingenieurlaufbahn verbunden bleiben. In den Kriegsjahren war er an der Entwicklung einiger Vultee Flugzeugprototypen beteiligt. Bei Kriegsende zählte er zu den Convair Ingenieuren, die die Entwicklung der gelenkten KAY „Lark“ Luftabwehrrakete vorantrieben. Dabei sammelten sowohl Convair als auch Bossart ihre ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet. Wenig später war Bossart auch im „Bumblebee“ Projekt der US Navy involviert, das ein ähnliches Entwicklungsziel verfolgte. Die gewonnenen Erfahrungen mit der Raketentechnik veranlaßten Convair 1945, sich an der Ausschreibung des U.S. Army Air Technical Service Command für eine überschallschnelle Rakete mit einer Reichweite von bis zu 5.000 Meilen zu beteiligen. Am 10.01.1946 erhielt Convair den Zuschlag und Bossart wurde zum Projektmanager der MX-​774  berufen. Hier verwirklichte er eine Reihe seiner Ideen, setzte aber auch Konzepte andere Konstrukteure um, die jedoch bisher nicht praktisch erprobt worden waren. So war der Sprengkopf nun abtrennbar und statt Strahlrudern, die einen erheblichen Teil der Triebwerksleistung kosteten, übernahmen vier kardanisch aufgehängte einzeln schwenkbare Brennkammern die Steuerung der Rakete. Entscheidendste Neuerung war aber die Idee, die Treibstofftanks als tragende Struktur auszulegen. Lediglich ein gemeinsamer Tankboden trennte die Treibstoffkomponenten voneinander. Modernste Verfahren ermöglichten das Formen und Schweißen der dünnwandigen Edelstahlbleche. Dem MX-​774  Programm blieb der Durchbruch zwar verwehrt, die technologischen Fortschritte fanden aber durchaus Beachtung und veranlaßten Convair, mit eigenen Mitteln das Konzept weiterzuentwickeln. Ab 1949 war Bossart verantwortlicher Ingenieur der Statikabteilung von Convair. 1953, nach der Übernahme von Convair durch General Dynamics, stieg er zum stellvertretenden Chefingenieur der Convair (Astronautics) Division auf. Anfang 1955 erhielt das Unternehmen den Zuschlag zum Bau einer ballistischen Rakete mit interkontinentaler Reichweite. Das Programm, das zunächst nur intern den Namen „Atlas“ trug, stand unter Leitung von Bossart, der nun als Chefingenieur fungierte. Jetzt konnte er seine noch radikaleren Ideen umsetzen. Er hatte inzwischen berechnet, daß man selbst auf die bisher noch verwendeten internen Versteifungen seiner Treibstofftanks verzichten konnte, wenn diese ständig unter Überdruck gehalten wurden. Entweder durch den Treibstoff oder durch Druckgas. Nach einem Start als langfristiges Forschungs– und Entwicklungsprojekt erhielt das „Atlas“ Programm schließlich höchste Priorität, als die Sowjetunion die USA mit der Zündung einer transportablen Wasserstoffbombe schockten. Dank des Einsatzes gewaltiger finanzieller Mittel machte die Entwicklung der Rakete trotz der vielfältigen Herausforderungen rasche Fortschritte. Die Karriere als Interkontinentalrakete währte zwar nur kurz, doch als Raumfahrtträgerrakete standen 4½ Jahrzehnte lang zahllose Modelle nach Bossarts Entwurf im Einsatz. Ende der 1950er Jahre unterstützte Bossart mit seinen Erfahrungen das Team von Krafft Ehricke, das mit der Entwicklung einer neuartigen Hochleistungsoberstufe für die „Atlas“ betraut war. Der Einsatz kryogener Treibstoffe in der „Centaur“ Stufe stellte eine enorme Herausforderung dar. Doch auch hier trugen die von Bossart entwickelten Leichtbauverfahren letztlich zum Erfolg des Entwurfs bei. Als die „Centaur“ Mitte der 1960er Jahre endlich ihre Einsatzreife erreicht hatte, zog sich Bossart allmählich aus der Entwicklung zurück. Bereits seit 1963 war er als Technischer Direktor der Convair Division von General Dynamics ohnehin zunehmend administrativ tätig. 1967 schied Bossart bei Convair aus und ging in den Ruhestand. Er starb am 04.07.1975 in San Diego.
Trotz seines vergleichbaren Beitrags für die amerikanische Raumfahrt erhielt Bossart nie die Anerkennung, wie sein sowjetischer Gegenspieler Sergej P. Koroljow, der zeitgleich die R-​7  Interkontinentalrakete entwickelte. Beide Raketen hatten als Waffe einen gemeinsamen Designfehler, sie setzten auf flüssigen Sauerstoff als Oxidator. Aufgrund der langen Betankungszeiten (die Raketen konnten nicht vollgetankt gelagert werden), taugten sie nur als Erstschlagwaffe. Für die Raumfahrt beider Nationen spielten sie aber jeweils eine unübertroffene Rolle. Während Koroljow immerhin postum eine angemessene Würdigung erfuhr, trat Bossart nie aus dem Schatten seines militärisch motivierten Wirkens heraus. Und auch die „Ballontanks“ blieben eine Episode. Angesichts immer stärkerer Triebwerke verzichteten nachfolgende Ingenieurgenerationen auf ihren Einsatz. Seinen Kollegen blieb Bossart aber in Erinnerung als:
…a one-​man System Requirements and Functional Analysis Group… and much more effective. He could quickly understand all the requirements of a subsystem and then conceptualize a design that would perform all the critical functions most efficiently…