Address:
Viktor Iwanowitsch Kusnezow

Techniker

Viktor Iwanowitsch Kusnezow
…wurde am 27.04.1913 in Moskau in eine Familie von Angestellten hineingeboren (sein Vater war damals noch Student am Moskauer Landwirtschaftsinstitut). In den 1920er Jahren zog die Familie nach Borowitschi in der damaligen Provinz Nowgorod, wo Kusnezow das Gymnasium der Stadt abschloß und anschließend als Hilfsmonteur (Elektriker) im örtlichen Keramikwerk zu arbeiten begann. Eine dreijährige Berufspraxis war die Voraussetzung für ein nachfolgendes Studium. Dieses nahm er 1933 am Leningrader Industrie Institut (LII) auf, genauer am All-​Unions-​Institut für Kessel– und Turbinenbau. Im zweiten Studienjahr wechselte er jedoch in die Fachrichtung Berechnung und Konstruktion von Flugzeugen an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Physik. Schon bald fiel er seinen Professoren auf und zeigte eine besondere Begabung auf dem noch jungen Gebiet der Anwendung von Kreiselsystemen. Bereits ein Jahr vor seinem Abschluß (1938) arbeitete er im Werk für Instrumentenbau № 212 „Elektropribor“ als Junior-​Forschungsingenieur und war dort an den Arbeiten an einem komplexen Kreiselsystem beteiligt. Bis 1940 blieb er dem Unternehmen verbunden und entwickelte verschiedene kreiselstabilisierte Waffenplattformen für Marine und Fliegerei sowie erste Kreiselkompasse und künstliche Horizonte mit. Nach zweieinhalb Jahren wurde er, gegen seinen Wunsch, als Leiter der neu geschaffenen Abteilung für Kreiselsysteme ans wissenschaftlichen Forschungsinstitut NII-​10  in Moskau versetzt. Bereits wenige Monate später gehörte er zu einer sowjetischen Expertengruppe, die im Namen des Volkskommissariats für Außenhandel in Deutschland den Kauf moderner Waffensysteme und Ausrüstungen verhandeln sollte. Insbesondere ging es um die fehlende Ausrüstung eines im Frühjahr 1940 von Deutschland in halbfertigem Zustand an die Sowjetunion gelieferten schweren Kreuzers der Admiral-​Hipper-​Klasse, der späteren „Petropawlowsk“. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurden diese Experten wie auch das Botschaftspersonal festgesetzt und im Gefängnis Moabit sowie im Lager Blankenfelde inhaftiert. Die Sowjetunion reagierte mit ähnlichen Maßnahmen gegenüber deutschen Botschaftsangehörigen. Nachdem ein Austausch des Botschaftspersonals vereinbart war, konnten im Rahmen dessen auch Kusnezow und weitere Experten Deutschland verlassen. Im August 1941 kehrten sie über Jugoslawien, Bulgarien und die Türkei zurück in die Sowjetunion. Sein kriegswichtiges Institut war da bereits nach Swerdlowsk evakuiert, wohin er nachfolgte. Kusnezow entwickelte in Swerdlowsk eine neue Stabilisierung für eine Panzerkanone (die aber trotz ausgezeichneter Ergebnisse unter den Bedingungen des Krieges wohl nicht in die Serie überführt werden konnte). 1942 wurde er Mitglied der KPdSU. Ab 1943 bekleidete er verschiedene hochrangige Positionen im MNII-​1  des Volkskommissariat für Schiffbau und entwickelte in dieser Zeit neue Feuerleitgeräte. Wenige Wochen vor Kriegsende reiste er im April 1945 als Mitglied einer Trophäenkommission nach Deutschland und sollte den Zugriff auf modernste Steuerungs– und Stabilisierungssysteme der deutschen Waffenentwicklung sicherstellen. Ein besonderes Interesse galt der V-​2  und den diversen Flugabwehrraketen und Gleitbomben. Im Rahmen seiner Arbeit traf Kusnezow erstmals auf Sergej P. Koroljow, den eben erst aus der Haft entlassenen führenden sowjetischen Raketenexperten. Eine schicksalhafte Begegnung. Denn nach seiner Rückkehr aus Deutschland im Jahr 1946 arbeitete Kusnezow vor allem auf dem Gebiet der Lenksysteme von Raketen und später Raumfahrzeugen. Noch 1946 wurde er in den „Rat der Chefkonstrukteure“ berufen, eine informelle Expertenrunde unter Koroljows Führung, die sich mit den verschiedenen Aspekten der Raketentechnik beschäftigte. 1947 wechselte er vom MNII-​1  als Abteilungsleiter zurück zum NII-​10  in Moskau. 1953 entstand aus dieser Abteilung № 2 das Sonderkonstruktionsbüro SKB NII-​10 , dessen stellvertretender Leiter und Chefdesigner Kusnezow wurde. 1956 wechselte er mit einer Gruppe von etwa 350 Mitarbeitern zum neu gegründeten Forschungsinstitut für gyroskopische Stabilisierung am wissenschaftlichen Forschungsinstitut NII-​994  (dem späteren Forschungsinstitut für angewandte Mechanik — NII PM), das heute seinen Namen trägt. Zunächst bekleidete er die Position des Chefingenieurs/Chefkonstrukteurs, später dann die des ersten stellvertretenden Direktors für wissenschaftliche Arbeit/Chefdesigners. Praktisch stand das Institut in den 1960er und 70er Jahren ununterbrochen unter seiner Leitung. Mit seinem Namen waren die militärischen Raketen der Serien R-​1 , R-​2 , R-​5 , R-​7 , R-​16 , R-​36 , R-​36 M, UR-​100  und UR-​100 N ebenso verbunden wie die Raumsonden der Serien Luna, Venera und Mars oder die Raumstationen Saljut und Mir. Eines der letzten zu seinen Lebzeiten verwirklichten Projekte waren die Energija-​Rakete und die Raumfähre Buran. Obwohl schon längere Zeit schwer krank, arbeitete Kusnezow noch bis kurze Zeit vor seinem Tod am 22.03.1991 in seinem Instut. Ende 1949 wurde Kusnezow als korrespondierendes Mitglied in die Akademie der Artilleriewissenschaften aufgenommen und 1958 als korrespondierendes Mitglied in die Akademie der Wissenschaften der UdSSR, deren ordentliches Mitglied er 1968 wurde. Im Laufe seiner Laufbahn erhielt er 1943 und 1946 jeweils für Entwicklungen auf dem Gebiet der Marine– bzw. Panzerartillerie den Stalin-​Preis (zweiten Grades), 1957 den Lenin-​Preis, den Staatspreis der UdSSR, drei Lenin-​Orden (1956, 1973 und 1983), den Orden der Oktoberrevolution (1971) und zwei Orden des Roten Banners der Arbeit (1963 und 1975). Speziell eine Reihe der Orden wurde anläßlich „runder“ Geburtstage verliehen. Doch die zweimalige Auszeichnung mit dem Titel „Held der sozialistischen Arbeit“ (1956 und 1961) stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Schaffung der ersten Interkontinentalrakete bzw. des ersten bemannten Raumfluges. Die erste der beiden Auszeichnungen, „für Verdienste um die Schaffung ballistischer Langstreckenraketen“, unterlag seinerzeit sogar der Geheimhaltung. Ähnlich wie die Rolle Koroljows für die Raketenentwicklung und im Raumfahrtprogramm bis zu dessen Tod aus Sicherheitsbedenken geheimgehalten werden sollte. Kusnezows Wirkungsstätten haben bis heute als wichtige militärische Forschungs– und Industriebetriebe überdauert. Seit 1992 trug „sein“ NII PM den Titel V. I. Kuznezow Forschungsinstitut für Angewandte Mechanik. Seit 2006 eine Filiale von TsENKI ist es heute ein Unternehmen von Roskosmos.