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Europa I

Trägerrakete

Europa I

Ein Jahrzehnt bevor die später so erfolgreiche Europa Rakete „Ariane“ das Licht der Welt erblickte, unternahmen die Europäer schon einmal den Versuch, eine eigene Raumfahrtträgerrakete zu entwickeln. Die Idee ging von Großbritannien aus, das mit der „Blue Streak“ über eine geeignete Grundstufe verfügte. 1954 hatten die Briten mit der Entwicklung einer eigenen IRBM begonnen, die in der Lage sein sollte, einen rund 2 t schweren atomaren Sprengkopf über eine Distanz von etwa 4.400 km bis in die westlichen Gebiete der Sowjetunion zu transportieren. Die Technik der „Blue Streak“ genannten Rakete basierte im Wesentlichen auf der der amerikanischen ICBM „Atlas“, selbst die Triebwerke RZ.12  wurden von Rolls Royce unter Lizenz von Rocketdyne entwickelt. Noch während der Arbeiten an dem Projekt wurde jedoch klar, daß die Kosten viel zu hoch sein würden und die Regierung beschloß den Kauf amerikanischer „Thor“ Raketen. Im Januar 1960, noch vor dem Erstflug der „Blue Streak“, wurde die Einstellung des Projektes beschlossen. Gleichzeitig entstanden Pläne, auf der Grundlage der glücklosen „Blue Streak“ einen Satellitenträger zu entwickeln. Hierzu sollten die Forschungsrakete „Black Knight“ als Zweitstufe und eine neue Drittstufe aufgesetzt werden. Das Projekt „Black Prince“ scheiterte jedoch an der Finanzierung, so daß ab 1961 europäische Partner gesucht wurden. Im Laufe des Jahres 1961 konkretisierten sich die Planungen, die im Frühjahr 1962 schließlich zur Gründung der ELDO führten. Beteiligt an dem Programm waren Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien und die Niederlande sowie Australien, das das Startgelände Woomera stellte. Als Erststufe der Europa-​A wurde erwartungsgemäß die „Blue Streak“ übernommen. Die Zweitstufe sollte nun aber von Frankreich entwickelt werden, wobei auf existierende Forschungsraketen zurückgegriffen werden konnte. Eine völlige Neuentwicklung dagegen war die Drittstufe „Astris“, die Deutschland beisteuerte. Italien lieferte die Nutzlastverkleidung und die Testnutzlasten für die ersten Flüge, während aus Belgien und den Niederlanden diverse Untersysteme kamen. In Großbritannien modifizierte Hawker-​Siddeley Dynamics die „Blue Streak“ strukturell für die Aufnahme der Oberstufen, Rolls Royce erhöhte den Schub der beiden RZ.12  Triebwerke von 610 kN auf 667 kN und zahlreiche Systeme mußten neu– oder umkonstruiert werden, insbesondere auch große Teile der elektronischen Ausrüstung. Dennoch blieben die Arbeiten im gesteckten Zeitrahmen. In Frankreich entwickelte die Société pour d´Etude et la Realisation d´Engins Ballistiques (S.E.R.E.B.) die zweite Stufe, wobei der Antrieb von L.R.B.A./Nord Aviation geliefert wurde. Bei der Entwicklung wurde auf eine einfache Auslegung Wert gelegt. So verzichtete man auf Turbopumpen zur Treibstoff-​Förderung und entschied sich für ein schwenkbares Vierkammer-​Triebwerk, wodurch keine separate Rollsteuerung vorgesehen werden mußte. Die Schubvektorsteuerung erhielt ihre Befehle vom Lageorientierungssystem der Drittstufe. Die Drittstufe war die anspruchsvollste Entwicklung des gesamten Systems. Besonderer Wert wurde auf eine maximale Masseersparnis gelegt. Mehrfach wurde die Auslegung der Stufe daher geändert und zeitweilig sogar die Entwicklung einer kryogenen Hochleistungsstufe erwogen. Doch da deren termingerechte Fertigstellung kaum denkbar war, wurde eine konventionellere Lösung gewählt. Die Arbeiten lagen in den Händen der Arbeitsgemeinschaft Satellitenträger (ASAT), die vornehmlich von den Firmen Bölkow-​Entwicklungen KG und ERNO-​Raumflugtechnik GmbH gebildet wurde. Ende 1962 waren die Konstruktionsarbeiten weitestgehend abgeschlossen und 1963 begannen die ersten Vorarbeiten. Der Antrieb der Drittstufe bestand aus einem kardanisch aufgehängten Haupttriebwerk, das einen maximalen Schwenkwinkel von 6° besaß. Dazu kamen zwei kleine Steuertriebwerke, die einen Schwenkbereich von 80° hatten. Ihnen kam nicht nur die Aufgabe zu, die Stufe zu steuern, sie sollten ihr je nach Flugregime auch zusätzlichen Schub verleihen oder gar als Hauptantrieb während einer zweiten Zündung dienen. Während zahlreicher Prüfstandversuche bestätigte die „Astris“ Stufe ihre Zuverlässigkeit. Bis Mai 1970 wurden 22 Stufen gefertigt, von denen allerdings nur 3 voll flugtaugliche Exemplare waren.
Die Flugtests von Komponenten der Europa Rakete begannen im Juni 1964. In den Jahren 1968, 1969 und 1970 wurden schließlich drei Versuche unternommen, einen kleinen Testsatelliten zu starten. Alle schlugen fehl. Obwohl sich Großbritannien 1971 aus der Finanzierung des Programms zurückzog, wurde die Entwicklung der verbesserten Europa II Rakete noch abgeschlossen. Deren einziger Start scheiterte 1971 jedoch gleichfalls und in der Folge stiegen nun auch Frankreich und Deutschland aus dem Programm aus. Die Arbeiten an der Europa II und Studien zur Europa III wurden eingestellt, die ELDO zum 01.05.1973 liquidiert. Doch bereits 1974 wurde die Gründung der neuen europäischen Raumfahrtagentur ESA als gemeinsame Nachfolgerin von ESRO und ELDO beschlossen und unter französischer Federführung begann die Entwicklung der L-​3 S oder „Vega“, die 1979 als Ariane 1 ihren erfolgreichen Jungfernflug erlebte.


Gesamtsystem
Nation Europa (ELDO
Bezeichnung(en) Europa I, ELDO-​A 
Entwicklungszeitraum 1962 – 1968 
erster Start 30.12.1968 (Fehlstart) 
Einsatzzeitraum — 
Stufenzahl
Gesamthöhe 31,67 m 
Basisdurchmesser 3,69 m 
max. Nutzmasse 1.000 kg (200 km Kreisbahn)
850 kg (500 km Polarbahn)
45 kg (Fluchtgeschwindigkeit) 
Leermasse 10.420 kg 
Treibstoffmasse
Startmasse 105.430 kg 
Startschub 1.334 kN 
1. Stufe
Hersteller Hawker Siddeley Dynamics 
Bezeichnung(en) „Blue Streak“
Länge 18,37 m 
Durchmesser 3,05 m 
Leermasse 6.440 kg 
Treibstoffmasse
Gesamtmasse 89.400 kg 
Antrieb 2 Flüssigkeitstriebwerke Rolls Royce RZ.12 
Treibstoff Kerosin RP1 + Flüssigsauerstoff 
Startschub 1.334 kN 
spezifischer Impuls (Seehöhe) 249 s 
Brenndauer 153..157 s 
2. Stufe
Hersteller Aerospatiale 
Bezeichnung(en) „Coralie“
Länge 5,49 m 
Durchmesser 2,01 m 
Leermasse 2.144 kg 
Treibstoffmasse
Gesamtmasse 11.894 kg 
Antrieb 4 Flüssigkeitstriebwerke L.R.B.A. 
Treibstoff UDMH + Stickstofftetroxid 
Vakuumschub 275 kN 
spezifischer Impuls (Vakuum) 277 s 
Brenndauer 96..104 s 
3. Stufe
Hersteller ASAT 
Bezeichnung(en) „Astris“
Länge inkl. Adapter 3,82 m 
Triebwerksdurchmesser 2,01 m 
Leermasse 600 kg 
Treibstoffmasse
Gesamtmasse 3.370 kg 
Antrieb 1 Flüssigkeitstriebwerk ERNO 
Treibstoff Aerozin 50  + Stickstofftetroxid 
Vakuumschub 23 kN 
spezifischer Impuls (Vakuum) 292 s 
Brenndauer 368 s 
Nutzlastverkleidung
Länge über Endstufe 4,00 m 
max. Durchmesser 2,01 m