Die Juno I, die erste einsatzbereite Satellitenträgerrakete der USA, basierte auf der taktischen Boden-Boden-Rakete Redstone. Deren Ursprünge wiederum reichten bis in das Jahr 1944 zurück, als die Entwicklung einer Langstreckenrakete im Rahmen des Projektes „Hermes“ begann. Nach dem Krieg wurden im „Hermes“ Programm verschiedene deutsche Raketenentwicklungen studiert, an US Materialien und Fertigungsverfahren angepaßt und zur Grundlage einer mehr oder weniger eigenständigen Raketenentwicklung genommen. Die Verantwortung für das Projekt ging 1951 an das Redstone Arsenal in Huntsville, Ala. über. Unter Leitung der deutschen Raketenexperten um Wernher von Braun machte das Programm rasche Fortschritte. Ungewöhnlich für US Verhältnisse war, daß die Entwicklung der Rakete komplett in-house vom Ordnance Guided Missile Center (der späteren Army Ballistic Missile Agency) unternommen werden sollte. Üblich war es sonst, bereits die Entwicklungsaufträge an die Industrie zu vergeben. Während der grundlegende Entwurf der neuen Rakete gut voran kam, erwies sich die Triebwerksentwicklung als problematisch. Obwohl auch hier erhebliche Entwicklungs– und Testkapazitäten aufgebaut wurden. Schließlich fiel die Wahl auf das NAA (North American Aviation) XLR-43-NA-1 . Dessen Entwicklung war auf Basis des Antriebs des deutschen Aggregat-4 begonnen worden. Wie dieses verbrannte es 75 %igen Ethylalkohol mit flüssigem Sauerstoff. Die Förderung der Treibstoffkomponenten übernahm eine Turbopumpe, die von 75 %igem katalytisch zersetztem Wasserstoffperoxid angetrieben wurde. Zunächst nur graduell verbessert, gelangen nach und nach bedeutende technologische Durchbrüche. Vor allem die neue „Duschkopf“ Einspritzung (nach einem bereits für die A-4 entwickelten Muster) brachten die Entwicklung voran. Konstruktiv deutlich vereinfacht und entsprechend (über 50%) leichter litt das Triebwerk nun auch nicht mehr unter den von den deutschen Ingenieuren gefürchteten Verbrennungsinstabilitäten. Ausgehend vom sogenannten Mk. III oder 75k Triebwerk (mit 75.000 lbf Schub) konnte sogar das Mk. IV Triebwerk XLR-43-NA-3 (120k) für den glücklosen G-26 „Navaho II“ Marschflugkörper entwickelt werden. Dem Ordnance Guided Missile Center (OGMC) kam das XLR-43-NA-1 als Ersatz für die stockende eigene Entwicklung sehr gelegen. NAA erhielt den Auftrag zur Lieferung einer Modifikation unter der Bezeichnung NAA 75 – 110-A-1 (75k lbf Schub für 110 s). Am 20.08.1953 fand der erste Flug eines Testmodells der nunmehrigen Redstone Rakete statt mit einem der Prototypen-Triebwerke. Weitere Tests folgten, wobei vor allem das Triebwerk konstruktiv immer weiter verbessert wurde, was in diesem Fall vor allem hieß – bei gleichbleibendem Schub vereinfacht. Zur Steuerung und Stabilisierung verfügte die Rakete über aerodynamische Steuerflächen mit eingelassenen Steuerdüsen am Heck und Strahlruder aus Graphit. 1956 lief die Serienfertigung der einstufigen taktischen Rakete bei der Chrysler Corporation an und das erste Bataillon mit Redstone-Raketen wurde aufgestellt. Unterdessen liefen bei der ABMA die Arbeiten an einer neuen Rakete, der späteren PGM-19 Jupiter. Diese erste echte US Mittelstreckenrakete (IRBM) bedeutete einen erheblichen Leistungssprung gegenüber der PGM-11 Redstone. Eine Reihe der technischen Lösungen für das neue Modell galt es daher experimentell zu erproben. Dafür entstand zunächst die Jupiter-A, bei der vor allem die Treibstofftanks verlängert worden waren. Zur Erprobung von Wiedereintrittskörpern (Spengkopfattrappen) unter realistischen Bedingungen bedurfte es aber einer leistungsfähigeren Rakete. So entwarf man die Jupiter-C mit zusätzlichen Feststoffoberstufen. Das DoD erteilte die Erlaubnis zum Start von zwölf Exemplaren. Bereits beim ersten Start am 20.09.1956 erreichte dabei die Rakete RS-27 rund 1.100 km Gipfelhöhe und flog über eine Distanz von etwa 5.370 km. Dabei war das mit Sand als Ballast gefüllte Modell einer vierten Raketenstufe installiert. Mit einer „scharfen“ Stufe hätte das darauf aufgesetzte Instrumentenpaket eine Erdumlaufbahn erreichen können — und dies mehr als ein Jahr vor dem ersten Sputnik! Bei den beiden folgenden Starts flog die Rakete in dreistufiger Konfiguration mit einem Wiedereintrittskörper. Am 08.08.1957 konnte die U.S. Army die geglückte Bergung eines maßstäblich verkleinerten Nasenkonus einer Jupiter Rakete melden. Damit war das Ziel des Jupiter-C Programms praktisch bereits erreicht. Jedenfalls veranlaßte der zuständige General John B. Medaris, daß die restlichen neun Raketen für bedeutendere Aufgaben eingelagert wurden. Und als angesichts der sowjetischen Raumfahrterfolge und der Probleme mit der Vanguard Rakete die U.S. Army die Erlaubnis zum Start eines Satelliten erhielt, konnten die Vorbereitungen dazu innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen werden. Die Pläne hierzu hatte von Braun bereits 1954/55 für sein Projekt „Orbiter“ ausgearbeitet, das damals keine politische Unterstützung erhalten hatte. Wie die Jupiter-A und –C verfügte die Juno I genannte Trägerrakete über die vergrößerten Tanks und ein modifiziertes NAA-75 – 100-A-6 Erststufentriebwerk, das nun zudem mit der höherenergetischeren Treibstoffkombination Hydine (60% UDMH und 40% DETA) arbeitete. Das Triebwerk brannte damit nicht nur länger, es lieferte auch einen höheren Schub bei besserem spezifischem Impuls. Die Oberstufen bestanden wie beim Orbiter Entwurf aus Bündeln von Feststoffraketen. Statt sage und schreibe 37 „Loki“ Flugabwehrraketen in drei Stufen sollten nun fünfzehn „Baby Sergeant“ zum Einsatz kommen. Hinter dieser inoffiziellen Bezeichnung verbargen sich im Prinzip etwa im Maßstab 1:5 verkleinerte MGM-29 „Sergeant“ Kurzstreckenraketen. Deren Entwicklung wurde gerade parallel vom Jet Propulsion Laboratory und der Thiokol Corporation betrieben, die am Redstone Arsenal einen Standort unterhielt. Im Rahmen des Entwicklungsprogramms der „Sergeant“ waren bereits über hundert der verkleinerten Raketen u.a. über einen weiten Temperaturbereich erprobt worden. Ohne einen einzigen Versager. Damit bot sich dieses Triebwerk unbedingt an. Die Motorgehäuse wurden vom JPL aus Edelstahl 410 gefertigt. Als Treibstoff kamen unterschiedliche Mischungen zum Einsatz. In der Zweit– und Drittstufe Thiokol T17-E2 , wie auch bei der „Sergeant“. Ab RS-44 wechselte man in den Drittstufentriebwerken auf JPL-136 , der einen höheren spezifischen Impuls lieferte. In der Viertstufe kam anfangs JPL-136 zum Einsatz, ab RS-44 die JPL-532 A Treibstoffmischung. Mit RS-44 wechselte man zudem auf ein leichteres Motorgehäuse aus Titan. Die Düse des Triebwerks mußte etwas verkürzt und im Durchmesser verkleinert werden, um beim Start aus dem Stütz-Konus einen ausreichenden Abstand sicherstellen zu können. Um die Oberstufen aufnehmen zu können, wurde auf eine konische Übergangssektion, die u.a. das Inertiallenksystem mit einer ST-80 Plattform mit luftgelagerten Kreiseln und Beschleunigungssensoren zur Bestimmung der Flugbahn-Referenzdaten enthielt, ein drehbar gelagerter zylindrischer „Köcher“ (offiziell als high-speed assembly bezeichnet) aufgesetzt, der mittels Riemenantrieb von zwei Elektromotoren im Kopfteil der Grundstufe zur Stabilisierung der Flugbahn in Rotation versetzt wurde. Beim Start rotierte die Einheit mit etwa 500 min-1, kurz vor der Stufentrennung steigerte man die Rate auf etwa 760 min–1 . In der zylindrischen Einheit waren ringförmig elf der auch als „Recruit“ bezeichneten Treibsätze als zweite Stufe angeordnet. Innen saß ein weiteres Bündel aus drei Raketen als dritte Stufe. Eine einzelne Rakete als Viertstufe wurde oben aufgesetzt. Als problematisch erwiesen sich bei dieser Lösung einerseits die wirkenden Fliehkräfte und andererseits der mehr oder weniger asymmetrische Schub der Raketenbündel. Ein exaktes Auswuchten der Oberstufenkonstruktion war jedenfalls unabdingbar. Auch mußte verhindert werden, daß bei sich leerenden Tanks Resonanzen durch den rotierenden Köcher ausgelöst wurden. Daher variierte die Spin-Rate im Verlauf des Aufstiegs. Auch wurde die Stufentrennung der Erststufe und Zündung der Zweitstufe noch per Funkkommando vom Boden aus eingeleitet. Die Zündung und Trennung der weiteren Stufen besorgte eine einfache Zeitschaltuhr. Ab dem zweiten Flug übernahm das Timing eine Einrichtung an Bord der Rakete.
Ungewöhnlich war die Aufstiegsbahn der Juno I. Statt nach kurzer Zeit eine Umlenkung in die Horizontale einzuleiten, stieg die Rakete, vom Inertiallenksystem überwacht, bis kurz vor Brennschluß der Jupiter Grundstufe vertikal auf und schwenkte dann auf einen Kurs mit 40° Neigung zum Horizont. Fünf Sekunden nach dem Brennschluß der Erststufe (bei Verbrauch des Treibstoffs bzw. Oxidators) wurde die Instrumentensektion mit dem Kopfteil der Rakete abgetrennt. In den folgenden gut vier Minuten, in denen der antriebslose Kopfblock dem Gipfelpunkt der ballistischen Bahn zustrebte, lenkten vier mit Preßluft betriebene Steuerdüsen (analog zu denen in den aerodynamischen Steuerflächen am Heck der Booster-Stufe) die Oberstufen in eine exakt horizontale Lage um. Die Ausrichtung übernahm die Kreiselplattform, die Apex-Bestimmung erfolgte auf drei Wegen (Beschleunigungssensoren im Kopfblock sowie Radar– und Dopplerbahnverfolgung). Mit einem Zeitverzug von jeweils zwei Sekunden zündeten dann die weiteren Feststoff-Oberstufen.
Von insgesamt sechs Einsätzen der Juno I über einen Zeitraum von neun Monaten waren zwei ein voller und einer ein teilweiser Erfolg. Die anderen 50% waren Totalversager. Dennoch spielte die Juno I eine herausragende Rolle als Trägerrakete der ersten erfolgreichen Forschungssatelliten der USA.
Gesamtsystem | |
Nation | USA (ABMA) |
Bezeichnung(en) | Juno I (fälschlich auch Jupiter-C) |
Entwicklungszeitraum | 1954 – 1958 |
erster Start | 01.02.1958 |
Einsatzzeitraum | 1958 |
Stufenzahl | 4 |
Gesamthöhe | 21,72 m |
Basisdurchmesser | 1,78 m |
Spannweite über Stabilisierungsflächen | 3,86 m |
max. Nutzmasse | 20 kg (500 km Kreisbahn) |
Leermasse | 6.141 kg [] |
Treibstoffmasse | 22.693 kg [] |
Startmasse | 28.834 kg [] |
Startschub | 370 kN |
1. Stufe | |
Hersteller | Chrysler Corp. |
Bezeichnung(en) | |
Länge | 14,86 m |
Länge mit Adapter | 17,62 m |
Durchmesser | 1,78 m |
Leermasse | |
Treibstoffmasse | |
Gesamtmasse | 28.378 kg [] |
Antrieb | 1 Flüssigkeitstriebwerk Rocketdyne A-6 |
Treibstoff | Hydine + Flüssigsauerstoff |
Startschub | 370 kN |
spezifischer Impuls (Seehöhe) | 235 s |
Brenndauer (nominal) | 155 s |
2. Stufe | |
Hersteller | ABMA |
Bezeichnung(en) | |
Länge (Köcher) | 1,30 m |
Durchmesser (Köcher) | 0,86 m |
Leermasse | 96 kg |
Treibstoffmasse | 231 kg |
Gesamtmasse | 327 kg |
Antrieb | 11 Feststofftriebwerke JPL „Recruit“ |
Treibstoff | Feststoff T17-E2 |
Vakuumschub | 11× 8 kN |
spezifischer Impuls (Vakuum) | 216 s [] |
Brenndauer | 6…6,5 s |
3. Stufe | |
Hersteller | ABMA |
Bezeichnung(en) | |
Länge | 1,30 m |
Durchmesser (Bündel) | 0,41 m |
Leermasse | 31 kg |
Treibstoffmasse | 63 kg |
Gesamtmasse | 94 kg |
Antrieb | 3 Feststofftriebwerke JPL „Recruit“ |
Treibstoff | Feststoff T17-E2 |
Vakuumschub | 3× 8 kN |
spezifischer Impuls (Vakuum) | 220 s |
Brenndauer | 6…6,5 s |
4. Stufe | |
Hersteller | Jet Propulsion Laboratory |
Bezeichnung(en) | |
Länge ohne Nutzlast | 1,07 m |
Durchmesser | 0,15 m |
Leermasse | 5 kg [] |
Treibstoffmasse | 22 kg [] |
Gesamtmasse | 27 kg [] |
Antrieb | 1 Feststofftriebwerk JPL „Recruit“ |
Treibstoff | Feststoff JPL-136 |
Vakuumschub | 8 kN |
spezifischer Impuls (Vakuum) | 236 s |
Brenndauer | 6…6,5 s |
Anm.: die vorstehenden Daten stammen aus einer Vielzahl oft widersprüchlicher Quellen
Quellen:
JUNO I: RE-ENTRY TEST VEHICLES AND EXPLORER SATELLITES, September 1960 [A]FROM A-4 TO EXPLORER I, Oktober 1973 [B]
THE EXPLORER ROCKET RESEARCH PROGRAM, November 1958
WELDED TITANIUM CASE FOR SPACE-PROBE ROCKET MOTOR, September 1959
HISTORY OF THE CLUSTER SYSTEM, 1962
EXPLORER SATELLITES LAUNCHED BY JUNO 1 AND JUNO 2 VEHICLE, 1962
HISTORY OF THE REDSTONE MISSILE SYSTEM, Oktober 1965