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Mercury-​Redstone

Trägerrakete

Mercury-Redstone

Als die NASA nur wenige Tage nach ihrer Gründung Studien für bemannte Raumflüge aufnahm, stellte sich auch bald die Frage nach einer geeigneten Trägerrakete. Groß war die Auswahl freilich nicht, befanden sich die meisten militärischen Raketensystem der USA zu jener zeit doch noch in der Entwicklung. Zudem hatten die Programme nach dem Koreakrieg und angesichts der sowjetischen Fortschritte bei der Raketen– und Atomwaffen-​Entwicklung eine so hohe Priorität erhalten, daß kaum Kapazitäten für ein ziviles Raumfahrtprogramm verfügbar waren. Die komplette Neuentwicklung einer geeigneten Trägerrakete wurde aber ebenfalls verworfen. Ende 1958 war die Entscheidung getroffen. Für die orbitalen Flüge führte kein Weg an der zu jener Zeit einzigen bereits geflogenen Interkontinentalrakete, der Atlas, vorbei. Doch da das „Mercury“ Programm zunächst ballistische Erprobungsflüge vorsah, benötigte man eine zweite, schwächere, Trägerrakete. Hier wurde man im Arsenal der US Army fündig. Mit einigen Modifikationen erschien die „Redstone“ MRBM geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen. Die Wurzeln der „Redstone“ reichten bis in das Jahr 1944 zurück. Am 20.11.1944 erhielt der General Electric Konzern von der US Army die Aufgabe, im Rahmen des Projekts „Hermes“ Studien zur Verwendung von Raketen als Langstreckenwaffen und zur Abwehr von Flugzeugen anzustellen. General Electric untersuchte dazu auch das Potential des deutschen A-​4  (Propagandabezeichnung V-​2) und analysierte die Möglichkeiten für einen Nachbau. Zunächst war man dabei aber wenig erfolgreich. Als Anfang 1945 jedoch ganze Schiffsladungen mit deutschen Raketen, Konstruktionszeichnungen und auch die Köpfe des Raketenprogramms, allen voran Wernher von Braun, in den USA eintrafen, änderte sich die Situation. Vordringliches Ziel war es aber auch weiterhin nicht, ein einsatzfähiges Waffensystem zu entwickeln. Vielmehr sollten die militärischen Einsatzmöglichkeiten der Raketentechnik untersucht werden. Eines der ambitioniertesten Projekte lief unter dem Namen Hermes C. Es sah die Entwicklung einer dreistufigen Rakete vor, die eine Reichweite von 2.000 Meilen erreichen sollte. Das war jenseits des damals technisch machbaren. Also konzentrierte man sich zunächst auf die weitaus kleinere Zwischenstufe, Hermes C2. Obwohl die meisten der Hermes Studien über das Designstudium nicht hinauskamen, leisteten sie doch einen wertvollen Beitrag für die spätere Raketenentwicklung. Zahlreiche technische Lösungen waren hier nämlich bereits untersucht und teilweise auch erprobt worden. Am 11.09.1950 erhielt das US Army Redstone Arsenal in Huntsville, Alabama den Auftrag, eine neue Rakete mit 500 Meilen Reichweite zu entwickeln. Und diesmal erhielt das nun unter dem Namen XSSM-​G-​14  (später XSSM-​A-​14 ) „Major“ laufende Projekt eine hohe Dringlichkeit. Das Redstone Team, wo inzwischen von Braun mit vielen seiner ehemaligen Kollegen untergekommen war, konnte für seine Aufgabe auf die General Electric Studie zur Hermes C1 zurückgreifen. Einen geeigneten Antrieb fand man im North American Aviation XLR43-​NA-​1 , das für die Booster-​Stufe der XSSM-​A-​2  „Navaho“ Cruise Missile vorgesehen gewesen war. Das XLR43-​NA-​1  war das erste große Flüssigkeitstriebwerk, das in den USA entwickelt worden war. Es war das Ergebnis eines dreistufigen Entwicklungsplans, der 1947 mit dem Zusammenbau von A-​4  Triebwerken aus noch in Nazi-​Deutschland gefertigten Komponenten begonnen worden war. In einer zweiten Stufe wurden drei verbesserte Triebwerke nach amerikanischen Standards und eigenen Methoden gebaut. Ihr Schub lag mit 249 kN (56.000 lbf) auf dem Niveau des deutschen Vorbilds. Die dritte Stufe bedeutete praktisch die Neukonstruktion des Triebwerks, wobei natürlich viele technische Lösungen und ganze Baugruppen weitgehend unverändert vom Vorbild übernommen wurden. Eine neue doppelwandige Brennkammer mit besserer Kühlung zählte zu den wichtigsten Neuerungen. Auch hatte eine einzelne Enspritzung („Duschkopf“) die 18 Einspritzdüsen des Aggregat-​4 , die stets eine Notlösung gewesen waren, ersetzt. Für die neue Rakete mußte die Brenndauer, so zeigten die Berechnungen, auf 110 s gesteigert werden. Das verbesserte Triebwerk erhielt die Werksbezeichnung NAA 75 – 110  und erbrachte schließlich 333 kN (75.000 lbf) Schub. Das waren 34% mehr als das Mod. 39a Triebwerk des A-​4  bei einer gleichzeitigen Gewichtsersparnis von rund 500 kg! Im Laufe der Zeit entstanden sieben Versionen des Triebwerks, bezeichnet als A-​1  bis A-​7 .
Die Rakete selbst wurde konstruktiv konventionell ausgelegt. Die Zelle bestand auch Aluminium und wurde von Stringern verstärkt. Wie beim A-​4  wurden die Tanks und Treibstoffleitungen mit Glaswolle isoliert. Denn die Treibstoffkomponenten blieben praktisch unverändert. Eine Alkoholmischung (75% Ethylalkohol, 25% Wasser) und flüssiger Sauerstoff als Oxidator. Die überarbeitete Turbopumpe, die den Treibstoff förderte, wurde von Dampf angetrieben, der bei der katalytischen Zersetzung von Wasserstoffperoxid erzeugt wurde. Bei der Steuerung der schließlich am 08.04.1952 auf den Namen „Redstone“ getauften Rakete orientierte man sich ebenfalls stark am deutschen Vorbild. Vier Strahlruder aus Graphit im Abgasstrahl erhielten die Steuersignale von einem Kommandosystem, das wiederum Referenzinformationen u.a. eines Kreiselsystems auswertete. Der Stabilisierung dienten vier kreuzförmig angeordnete aerodynamische Ruder am Heck der Rakete und vier kleinere Flächen oberhalb der Booster-​Sektion. Die Strahlruder und die großen aerodynamischen Flächen am Heck wurden von elektrischen Stellmotoren angetrieben. Das ST-​80  Inertial-​Lenksystem der Ford Instrument Company in Kombination mit einem Funkkommando-​Empfänger sollte bei Schußweiten bis 740 km (400 nm) eine Zielabweichung von weniger als 500 m sicherstellen. Angesichts der vorgesehenen Bewaffnung mit einem 500 kT oder 3,5 MT Atomsprengkopf schien dies ausreichend.
Während die Aufträge für die meisten Baugruppen der Rakete rasch vergeben waren, blieb die Frage lange offen, wer als Generalauftragnehmer die Montage übernehmen sollte. Einige Bewerber erschienen der US Army als nicht ausreichend qualifiziert, andere hatten keine Kapazitäten frei. Schließlich richtete die Chrysler Corporation im ehemaligen Naval Industrial Reserve Aircraft Plant in Warren, Michigan eine neue Fertigung ein. Hier entstanden über 100 Raketen, während die ersten Exemplare noch in-​House bei der ABMA (Army Ballistic Missile Agency) gefertigt worden waren. Im Mai 1960 endete bei der NAA (Rocketdyne Division of North American Aviation Company) die Fertigung der Triebwerke für die „Redstone“, ein Jahr später lief die Produktion der Rakete, die sich im Army Jargon den Beinamen „The Army Work Horse“ erworben hatte, aus. Als Nachfolger stand bereits die „Pershing“ Rakete fest. Doch noch bis 1964 standen mehrere mit PGM-​11  „Redstone“ ausgerüstete Batterien in der Bundesrepublik Deutschland im Dienst. Daneben erlangte die Rakete durch einige ihrer Ableitungen Berühmtheit. So diente sie als Grundlage für die Jupiter-​C Rakete, mit der Systeme für die „Jupiter“ IRBM mit abtrennbarem Sprengkopf erprobt wurden. Eine kaum veränderte Jupiter-​C beförderte schließlich am 01.02.1958 als Juno I den ersten US Satelliten ins All. Die Erststufe dieser Rakete verfügte über ein Mod. A-​6  Triebwerk, das dank des Einsatzes des energiereicheren „Hydine“ Treibstoffs (60% UDMH, 40% DETA) nun etwa 370 kN leistete. Der Einsatz dieses toxischen Treibstoff im Rahmen des „Mercury“ Programms schien den Verantwortlichen jedoch zu gewagt. Um die geringere Leistung beim Einsatz von Alkohol als Treibstoff auszugleichen, mußte die Nominal-​Brenndauer von 123,5 auf 143,5 s gesteigert werden. Dazu machte sich eine gegenüber der Jupiter-​C nochmalige Verlängerung der Tanks erforderlich. Damit die Druckbeaufschlagung der Tanks mit der längeren Brenndauer mithalten konnte, mußte ein siebter Stickstoff-​Hochdrucktank eingebaut werden. Der Gasgenerator wurde mit einem zweiten HO Tank ausgestattet. Das ST-​80  Inertial-​Lenksystem ersetzte man durch den einfacheren aber zuverlässigeren LEV-​3  Autopiloten. Insgesamt wurden rund 800 Änderungen an der Rakete erforderlich, um dies „man-​rated“ zu machen. Da die Graphit-​Strahlruder der Rakete nun länger den hohen Temperaturen ausgesetzt waren, kamen ausgesuchte, besonders hochwertige, Exemplare zum Einsatz. Aufgrund des veränderten Schwerpunkts der Rakete durch die Verlängerung der Tanks mußten in der vorderen Instrumenten-​Sektion der Mercury-​Redstone 312 kg Ballast untergebracht werden. Da der Basisdurchmesser der Mercury-​Kapsel geringfügig größer war als der der Rakete, weitete sich der Nutzlastadapter zur Aufnahme des Raumschiffs geringfügig auf.
Trotz einiger Schwierigkeiten, die bei der Entwicklung und Erprobung der Mercury-​Redstone auftraten, bewährte sich die „Redstone“ auch in dieser Rolle. Nach den ersten beiden bemannten ballistischen Flügen entschied die NASA daher, daß weitere derartige „Mercury“ Missionen nicht mehr notwendig waren. Die beiden letzten ungeflogenen Mercury-​Redstone wurden schließlich verschrottet.


Gesamtsystem
Nation USA 
Bezeichnung(en) Mercury-​Redstone
Entwicklungszeitraum 1959 – 1960 
erster Start 21.11.1960 (Fehlstart) 
Einsatzzeitraum 1960 – 1961 
Stufenzahl
Gesamthöhe 25,42 m
Basisdurchmesser 1,78 m 
Spannweite über Stabilisierungsflächen 3,66 m 
max. Nutzmasse
Leermasse
Treibstoffmasse
Startmasse 30.053 kg
Startschub 350 kN
1. Stufe
Hersteller Chrysler Corp. 
Bezeichnung(en)
Länge 17,81 m
Durchmesser 1,78 m 
Leermasse
Treibstoffmasse
Gesamtmasse
Antrieb 1 Flüssigkeitstriebwerk NAA (Rocketdyne) 75 – 110 Mod. A-​7 
Treibstoff Alkohol + Flüssigsauerstoff 
Startschub 350 kN
spezifischer Impuls (Seehöhe)
Nominal-​Brenndauer 143 s 
Nutzlast
Länge über Rettungsraketensystem 7,99 m 
max. Durchmesser 1,83 m 

Quellen:

[1] NASA: THE MERCURYREDSTONE PROJECT, Dezember 1964 
[2] ARMY MISSILE COMMAND: HISTORY OF THE REDSTONE MISSILE SYSTEM, Oktober 1965 
[3] STACHE: RAKETEN — EINE INTERNATIONALE UMSCHAU, Oktober 1980