Brasiliens Raumfahrtpläne gehen zurück auf das Jahr 1961, in dem eine Regierungskommission eingesetzt wurde, die Studien für ein nationales Raumfahrtprogramm anstellen sollte. 1964 rief das Centro Técnico Aeroespacial (CTA) des Ministeriums für Luftfahrt eine Task Force namens GETEPE (Grupo Executivo e de Trabalhos e Estudos de Projetos Especiais) zusammen, deren Ziel die Einrichtung eines Startplatzes für Höhenforschungsraketen war. Realisiert wurde das Projekt in der Nähe von Natal im Bundesstaat Rio Grande do Norte als „Centro de Lançamento de Barreira do Inferno” (CLBI). Mitte der 60er Jahre begann Brasilien hier mit ausländischer Hilfe Höhenraketen (z.B. Nike-Apache) zu Forschungszwecken zu starten. Im April 1965 hob hier auch die erste eigenentwickelte Sonda I Rakete ab. Dieses Modell blieb in den 1960er Jahren bestimmend, bis im folgenden Jahrzehnt die Entwicklung weit leistungsfähigerer Modelle forciert wurde. Die ein– und zweistufigen Modelle Sonda II und Sonda III erreichten bereits 90 bis 600 km Höhe. Ab Oktober 1969 unterstand die Entwicklung dem Institut für Luft– und Raumfahrt IAE (Instituto de Aeronáutica e Espaço). Mitte der 1970er Jahre war die Entwicklung bei den Höhenraketen soweit fortgeschritten, daß Pläne für einen eigenen Satellitenträger realisierbar schienen. Die Entwicklung einer neuen Rakete Sonda IV mit einer Reihe von innovativen Techniken wurde aufgenommen. Allein der große Durchmesser des Treibsatzes, der auch bei dem geplanten Satellitenträger Verwendung finden sollte, stellte eine erhebliche Herausforderung dar. Ferner war erstmals die Einführung einer 3-Achsen-Stabilisierung vorgesehen. So wurde bei den ersten drei Testflügen der Sonda IV eine Schubvektorsteuerung mit Gaseinspritzung erprobt, bevor man zu schwenkbaren Triebwerksdüsen überging. Zu dieser Zeit wurde auch ein Kooperationsvertrag mit der französischen Raumfahrtbehörde CNES unterzeichnet, der sich auf die Zusammenarbeit bei der Konstruktion einer Feststoffrakete aus Komponenten der brasilianischen Sonda IV und der französischen Diamant A bezog. Kurz darauf stellte die CNES eine neue Studie mit Namen BR1 vor und 1978 schließlich die Studie BR2. Diese sah einen dreistufigen Träger vor mit dem Viking IV Flüssigkeitstriebwerk aus der Ariane Entwicklung, dem Sonda IV Triebwerk als Zweitstufe, einer neu zu entwickelnden Drittstufe und der Nutzlastverkleidung der britischen Black Arrow. Da Brasilien jedoch zu dieser Zeit ebenfalls intensiv an der Entwicklung eigener Mittelstreckenraketen arbeitete und auf dem Gebiet der Nuklearwaffen als sogenanntes Schwellenland gilt, geriet die Zusammenarbeit schließlich in eine Sackgasse, da Frankreich einen militärischen Einsatz seiner Technologie verhindern wollte. Insbesondere kritische Komponenten für die Steuerung der Rakete weigerte sich Frankreich zu liefern. Außerdem uferten die Kosten des Projekts immer mehr aus. Im Oktober 1979 endete daher die Zusammenarbeit und Brasilien favorisierte nun eine rein nationale Lösung. Basierend auf der Feststoff-Forschungsrakete Sonda IV sollte die vierstufige VLS-1 (Veículo Lançador de Satélites) im Jahr 1989 den ersten Satelliten vom Typ SCD auf eine Umlaufbahn befördern. Konzeptionell entstand ein vierstufiges System, wobei die erste Stufe von vier Feststoffboostern mit steuerbaren Düsen gebildet wird. Die zweite Stufe basiert auf dem gleichen S-43 Triebwerk, jedoch mit einer Schubdüse, die für den Betrieb in größeren Höhen ausgelegt ist. Die dritte Stufe mit ihrem S-40 Triebwerk ist eine weitere Ableitung dieses Treibsatzes. Sie beherbergt auch das Flugkontrollsystem. Ihre Lageregelung erfolgt durch kleine Steuertriebwerke und das steuerbare Haupttriebwerk. Dagegen ist das S-44 Triebwerk der Viertstufe eine reine Kickstufe ohne Steuermöglichkeit. Die Zelle der Rakete besteht weitgehend aus Leichtmetall-Legierungen, wobei aber auch viele Baugruppen aus Komposit-Material gefertigt werden sollten. Ein neues Startzentrum Centro de Lançamento de Alcântara (CLA) entstand in Alcântara an der Atlantikküste. Technische und finanzielle Probleme verzögerten jedoch bereits den Jungfernflug der Sonda IV bis zum 21.11.1984. Im gleichen Jahr startete der maßstäblich verkleinerte Prototyp der VLS-1 . Mit dieser VLS-R1 sollte insbesondere die Stufentrennung der vier Erststufenbooster verifiziert werden. Der Test war eine Fehlschlag. 1989 konnte mit VLS-R2 jedoch ein Erfolg erzielt werden. Unterdessen bereitete erwartungsgemäß insbesondere die Steuerungstechnik der neuen Rakete Probleme, so daß sich der Termin für den Erststart der VLS-1 zunächst auf 1992 und dann auf 1995 verschob. Der Steuerungscomputer für die VLS-1 wurde schließlich aus Großbritannien importiert, die Software wurde in Brasilien entwickelt, nach unbestätigten Berichten zuletzt mit Hilfe russischer Raketenexperten. Mit der zweistufigen VS-40 , einer Ableitung der Sonda IV, wurde schließlich am 02.04.1993 die S-44 Zweitstufe, die bei der VLS-1 als Viertstufe dienen sollte, unter realistischen Bedingungen erprobt. Da Brasilien über keine geeignete Simulationskammer verfügte, mußten Zündung und Brennverhalten der Stufe im Flug untersucht werden.
Mit der VLS-1 Rakete waren insgesamt zunächst vier Erprobungsstarts vorgesehen, von denen 1997 und 1999 die ersten beiden scheiterten. Bei den Vorbereitungen für den dritten Start kam es zu einer verheerenden Explosion, die zahlreiche Techniker tötete und den Startkomplex total zerstörte. Dennoch soll die Entwicklung fortgeführt werden. Konkret bestehen Pläne für eine kleinere Variante VLM, die Micro-Satelliten bis 100 kg starten können soll und die VLS-2 , die mit einer Flüssigkeits-Erststufe ausgerüstet, kommerziell beim Start von low-Orbit Satellitenkonstellationen zum Einsatz kommen könnte. Bei einem Stückpreis von 6,5 Mio. $ für die VLS-1 rechnet sich Brasilien hier Chancen aus, kostet doch beispielsweise eine amerikanische Pegasus Rakete bereits 14 Mio. $. Ob allerdings angesichts der wirtschaftlichen Probleme Brasiliens und der sich verändernden Situation im Klein-Satelliten-Markt diese Projekte realisiert werden, ist fraglich. Eine kommerzielle Nutzung der nur 2 °18′ südlich des Äquators gelegenen Startbasis CLA ist dagegen wahrscheinlich. Verträge wurden bereits mit Rußland und der Ukraine abgeschlossen.
Gesamtsystem | |
Nation | Brasilien |
Bezeichnung(en) | VLS-1 |
Entwicklungszeitraum | 1979– |
erster Start | 02.11.1997 (Fehlstart) |
Erprobungszeitraum | 1997– |
Stufenzahl | 4 |
Gesamthöhe | 19,46 m |
Basisdurchmesser | |
max. Nutzmasse | 350 kg (200 km Äquatorialbahn) |
Leermasse | |
Treibstoffmasse | 41.359 kg |
Startmasse | 50.730 kg |
Startschub | 1.172 kN |
1. Stufe | |
Hersteller | |
Bezeichnung(en) | |
Länge | ca. 9,0 m |
Durchmesser | 1,07 m |
Leermasse | |
Treibstoffmasse | 4× ca. 7.200 kg |
Gesamtmasse | 4× ca. 8.775 kg |
Antrieb | je 1 Feststofftriebwerk S-43TI |
Treibstoff | Feststoff |
Startschub | 4× 293 kN |
spezifischer Impuls (Seehöhe) | |
Brenndauer | 59..60 s |
2. Stufe | |
Hersteller | |
Bezeichnung(en) | |
Länge | 8,86 m |
Durchmesser | 1,07 m |
Leermasse | |
Treibstoffmasse | ca. 7.200 kg |
Gesamtmasse | ca. 8.820 kg |
Antrieb | 1 Feststofftriebwerk S-43TM |
Treibstoff | Feststoff |
Vakuumschub | 308 kN |
spezifischer Impuls (Vakuum) | |
Brenndauer | 58..62 s |
3. Stufe | |
Hersteller | |
Bezeichnung(en) | |
Länge | 4,56 m |
Durchmesser | 1,07 m |
Leermasse | |
Treibstoffmasse | ca. 4.450 kg |
Gesamtmasse | ca. 4.450 kg |
Antrieb | 1 Feststofftriebwerk S-40TM |
Treibstoff | Feststoff |
Vakuumschub | 191 kN |
spezifischer Impuls (Vakuum) | |
Brenndauer | 56..58 s |
4. Stufe | |
Hersteller | |
Bezeichnung(en) | |
Länge | 2,79 m |
Stufendurchmesser | 1,07 m |
Leermasse | |
Treibstoffmasse | 814 kg |
Gesamtmasse | 990 kg |
Antrieb | 1 Feststofftriebwerk S-44 |
Treibstoff | Feststoff |
Vakuumschub | 31 kN |
spezifischer Impuls (Vakuum) | |
Gesamt-Brenndauer | 73 s |
Nutzlastverkleidung | |
Länge über Endstufe | 3,25 m |
max. Durchmesser | 1,20 m |