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Start des zweiten HEXAGON Satelliten
Auch die USA begannen ihre Raumfahrtaktivitäten im Jahr 1972 mit einer Aufklärungsmission. Eine Titan-​IIID Rakete brachte am 20.01.1972 von der Vandenberg AFB den zweiten KeyHole KH-​9  Satelliten auf seine Bahn. Diese auch unter dem Namen „Big Bird“ bekannten Satelliten waren deutlich leistungsfähiger als ihre Vorgänger. Zwei Kameras lieferten Aufnahmen von bis zu 0,6 m Auflösung (andere Quellen sprechen sogar von 0,3 m). Die Fotos konnten mit vier Landekapseln zur Erde zurückgeführt werden. Dank ihrer enormen Größe, die das Mitführen großer Treibstoffvorräte und damit umfangreiche Bahnmanöver über einen langen Zeitraum zuließ, blieb jeder einzelne der Satelliten über Monate hinweg aktiv. Verantwortlich für das Programm mit dem Codenamen HEXAGON war die CIA, unterstützt vom NRO. Auch heute noch unterliegen viele Details zu den Satelliten der Geheimhaltung, so daß über ihre wirkliche Leistungsfähigkeit viele Gerüchte kursieren. Vermutlich waren die HEXAGON Satelliten was die Auflösung ihrer optische Teleskope betraf jedoch nicht oder nur unwesentlich leistungsfähiger als die letzten CORONA Satelliten. Der Vorteil lag vielmehr darin, daß sie zur Gewinnung der Aufnahmen nicht so tief in die Atmosphäre hineintauchen mußten. In Verbindung mit dem größeren Treibstoffvorrat und mehr Filmlandekapseln ergab sich dennoch eine neue Qualität der optischen Satellitenaufklärung. Allerdings waren auch sie noch immer auf einen möglichst wolkenlosen Himmel über dem Zielgebiet angewiesen. Eine immer bessere Verzahnung mit den meteorologischen Informationen der DMSP Satelliten steigerte aber auch hier immerhin die Effektivität zunehmend.
Nachdem bei der ersten HEXAGON Mission im Sommer 1971 eine Reihe technischer Probleme aufgetreten waren, machten sich diverse konstruktive Änderungen am zweiten Flugexemplar erforderlich. Das Fallschirmsystem der Landekapseln wurde komplett neu konstruiert und die Herstellung an ein anderes Unternehmen vergeben. Die Tests verliefen sehr überzeugend (wie auch der spätere Einsatz). Schwieriger zu lösen war das Problem der Überhitzung der Pufferbatterien, zumal verschiedene Theorien zur Ursache der Probleme existierten. Schließlich konzentrierte man sich aber auf eine Verschmutzung der Radiatoren, ausgelöst durch Verbrennungsrückstände der Feststoffraketen. Doch ob diese von den beiden großen SRMs (Solid Rocket Motors) selbst oder den kleinen Stufentrennungstriebwerken stammten, war schwierig zu bestimmen. Schließlich verlagerte man die Batterien kurzerhand an eine besser geschützte Stelle innerhalb des Satelliten. Bis alle Änderungen umgesetzt waren, wurde es Dezember 1971. Im Verlauf des Countdowns zum für den 21.12.1971 geplanten Start wurde ein Defekt im elektrischen System der Pyroladungen entdeckt. Während dieser behoben wurde, kam es zu Korrosionserscheinungen im Schubvektor-​Kontrollsystem. Nachdem die betroffenen Ventile ersetzt waren, konnte der Start schließlich am 20.01.1972 erfolgen. Die Mission litt wieder unter einer Reihe technischer Probleme. Dennoch konnten 39 (statt geplanter 45) Tage lang Aufklärungsinformationen gesammelt werden. Die erste Kapsel kehrte am 26.01.1972 zurück. Bei der Beschickung der zweiten Landekapsel kam es zu einem schwerwiegenden Fehler im Sensorsystem. Das führte zum Bruch des Films und machte fortan die Nutzung der vorderen Kamera unmöglich. Auch die zweite Kapsel konnte geborgen werden (am 08.02.1972). RV-​3  und RV-​4  folgten am 17.02. und 28.02.1972. Sie konnten nur noch den Film der hinteren Kamera aufnehmen und somit keine stereoskopischen Informationen mehr liefern. Die Auflösung erreichte wieder etwa 0,8 m. Wie schon die erste HEXAGON Mission litt auch diese unter einem exzessiven Treibstoffverbrauch des Lageregelungssystems. Glücklicherweise nutzten sowohl das RCS (Reaction Control System) wie auch das OAS (Orbit Adjust System) Hydrazin und konnten wechselseitig auf ihre Vorräte zugreifen. So ließ sich der Mehrverbrauch des RCS in Grenzen kompensieren. Dennoch wurde die Mission nach vierzig Tagen am 28.02.1972 unter Zuhilfenahme des „life-​boat“ Systems beendet. Dank einer erweiterten Instrumentierung lieferte die Mission den Nachweis, daß die Strufentrennungstriebwerke für die Verunreinigung der Radiatoren der Batterien verantwortlich waren. Das machte konstruktive Änderungen möglich.
Neben dem HEXAGON Satelliten, der die Erde auf einer elliptischen Bahn umkreiste, gelangte bei dem Start am 20.01.1972 noch ein kleiner Subsatellit auf seine Bahn. Auch zu seiner Konfiguration verlautete praktisch nichts. Bei OPS 7719 handelte es sich um einen kleinen ELINT Satelliten aus der P-​11  Serie zur Aufklärung von sowjetischen Radarstationen. MABELI (Mission 7339) war gegen sowjetische ABM Radarstellungen gerichtet, betrieb aber auch Aufklärung im Bereich der Technical Intelligence (TI), wobei Details weiter der Geheimhaltung unterliegen. P-​11  4424 flog jedenfalls hierzu mit einer Nutzlast aus dem Electromagnetic Systems Lab (ESL), die auf Frequenzen zwischen 150 MHz und 2,5 GHz abgestimmt war. Einer der Empfänger litt allerdings unter einer zu geringen Empfindlichkeit, was die Ausbeute der Mission definitiv reduzierte.