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Start von Sojus TM-29
Start von Sojus TM-29 zur Mir
Jean-​Pierre Haign­eré während der „Perseus“ Mission
Ivan Bella an Bord der Mir

Ende 1998, Anfang 1999 stand in Rußland wieder einmal die Zukunft der Raumstation Mir zur Entscheidung an. Rußland konnte sich angesichts der Beteiligung an der internationalen Raumstation ISS eigentlich nicht den Betrieb eines zweiten Orbitalkomplexes leisten. Doch andererseits war die Mir in breiten Schichten der Bevölkerung ein Symbol für die einstige Größe der Sowjetunion bzw. Rußlands. Nach mehreren politischen Kehrtwenden verkündete der russische Ministerpäsident Jewgeni M. Primakow am 21.01.1999 dann überraschend die Rettung der Raumstation. Der Plan sah die Privatisierung der Mir vor. RKK Energija wurde zum Betreiber der Station und erhielt bis 2002 die exklusiven Nutzungsrechte. Gleichzeitig wurden aber auch für das zweite Halbjahr 1999 alle staatlichen Gelder zum Betrieb der Raumstation gestrichen. Rußland erfüllte damit seine Vertragspflichten mit den USA, während gleichzeitig die Verantwortung für den Betrieb der Mir auf die russische Raumfahrtagentur RKA und RKK Energija abgewälzt wurden, die nun ihrerseits Sponsoren suchen mußten. Schon am 11.02.1999 mußte die RKA jedoch bekanntgeben, daß der geheimnisvolle Sponsor, mit dem man seit Dezember 1998 in Verhandlungen stand, die erforderlichen Gelder nicht aufbringen konnte. Wieder einmal schien das Ende der Mir besiegelt, wenn es auch Gerüchte gab, China wolle die Mir übernehmen.
In dieser Atmosphäre liefen im Frühjahr die Vorbereitungen für eine mutmaßlich (letzte) Mission zur Mir. Aufgrund vertraglicher Verpflichtungen mußte die RKA noch zwei ausländischen Kosmonauten einen Flug zur Mir ermöglichen. Die ungewisse Zukunft der Mir führte zur Zusammenlegung der ursprünglich russisch-​slowakischen Sojus TM-​29  mit der russisch-​französischen Sojus TM-​30  Mission. Das bedeutete, daß mit Kommandant Viktor Afanasjew sich lediglich ein Russe an Bord der nächsten Sojus befand. Auf dem Sitz des Bordingenieurs nahm der Franzose Jean-Pierre Haigneré Platz, der immerhin bereits über die Erfahrung einer Mir Mission verfügte. Der Slowake Ivan Bella flog als Wissenschaftskosmonaut im dritten Sitz. Am 20.02.1999 um 04:18 UTC hob die Sojus-​U 11A511U Rakete von Baikonur ab. Nach einem planmäßigen Anflug auf die Mir gelang am 22.02.1999 um 05:36 UTC auch das Docking unter Einsatz des automatischen Systems Kurs. Es folgte der Umstieg und die Begrüßung durch die bisherige Stammbesatzung Gennadi Padalka (Kommandant) und Sergej Awdejew (Bordingenieur). An den nächsten Tagen widmeten sich Haigneré und Bella ihren spezifischen Forschungsprogrammen, während der bisherige Kommandant Padalka die Übergabe der Station an seinen Nachfolger Afanasjew vorbereitete. Während der Spationaut Haigneré jedoch über reichlich Zeit für seine Experimente verfügte (wegen des vorgezogenen Starts mit Sojus TM-​29  verlängerte sich seine Mission „Perseus“ von 99 Tagen auf nunmehr geplante sechs Monate), blieben dem Gastkosmonauten Bella nur wenige Tage für sein Experimentenpaket „Stefanik“ (benannt nach Milan Rastislav Štefánik, einem in der Slowakei berühmten Politiker, Astronomen, Jagdflieger und Armeegeneral aus der Zeit des 1. Weltkriegs). Dieses umfaßte u.a. Strahlungsmessungen, Hormonstudien, Soffwechselexperimente und Brutversuche mit japanischen Wachteln. Mit diesem Versuchstier war bereits einige Jahre zuvor an Bord der Mir experimentiert worden, doch damals starben alle Tiere nach kurzer Zeit. Ziel war langfristig die Erschließung einer neuen Nahrungsquelle für Raumfahrer auf Langzeitmissionen. Denn japanische Wachteln legen überdurchschnittlich viele Eier und eignen sich auch selbst zum Verzehr. Für die junge Republik, die Slowakei hatte sich erst 1993 aus der Tschechoslowakei gelöst und war eigenständig geworden, war der der Flug aber vor allem ein Politikum. Wie die Tschechen mit Vladimir Remek hatte man nun auch einen „eigenen“ Kosmonauten vorzuweisen. Obwohl also sowohl der volkswirtschaftliche als auch der wissenschaftliche Nutzen beider Missionen überschaubar blieb, demonstrierten die Raumflüge 1978 wie auch 1999 doch die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften.