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Vega VV01 vor dem Start
Nutzlastplattform des Vega Jungfernflugs (vorn AlmaSat, hinten LARES, dazu die PPODs für die CubeSats)

Fast zehn Jahre nach dem ursprünglich für den Jungfernflug angenommenen Termin hob die leichte europäische Trägerrakete Vega am 13.02.2012 von Kourou tatsächlich erstmals ab. Vor allem Italien hatte seit Mitte der 1990er Jahre dieses Projekt forciert, um seine seit Jahren aufgebauten Kapazitäten auf dem Gebiet der Feststofftriebwerke auch nach dem Wegfall militärischer Programme erhalten zu können. Für die ESA, unter deren Schirmherrschaft die Entwicklung schließlich lief, bzw. Arianespace, ergänzte die Rakete mit einer typischen Nutzlast von etwa 1,5 Tonnen durchaus sinnvoll das bestehende Angebot. Andererseits begab man sich mit der Rakete in direkte Konkurrenz zu den russischen Konversionsraketen Rockot-​KM und Dnepr-1 sowie beispielsweise zur indischen PSLV. Dennoch gab man sich in Europa betont optimistisch, auch preislich mit diesen Mitbewerbern mithalten zu können.
Bei ihrem Jungfernflug hatte die Vega insgesamt neun Nutzlasten aus Frankreich, Italien, Polen, Rumänien, Spanien und Ungarn an Bord. Primäres Ziel der Mission war natürlich die Qualifikation der Trägerrakete, wichtigste Nutzlast der von der italienischen ASI beigesteuerte Satellit LARES (Laser Relativity Satellite). Bei einem Durchmesser von nur 376 mm wog LARES knapp 400 kg. Der passive geodätische Satellit war aus einem massiven Tungsten Kern gefertigt. In die Oberfläche wurden 92 Tripelspiegelreflektoren (engl. corner cube reflector) eingelassen. Diese ermöglichten nicht nur eine präzise Bahnvermessung per Laserstrahl zur Gewinnung exakter geodätischer Informationen. Primär hoffte man, endlich sicher den sogenannten Lense-​Thirring-​Effekt zur Allgemeinen Relativitätstheorie nachweisen zu können. Nach dem Aussetzen von LARES auf einer 1.450 km Kreisbahn manövrierte die kleine (in der Ukraine entwickelte) Flüssigkeits-​Viertstufe auf einen niedrigeren Orbit, wo die sekundären Nutzlasten freigegeben wurden. Darunter befand sich ALMASat 1 von der Università di Bologna. Ursprünglich für einen Mitflug Ende 2005 an Bord einer Dnepr-​1  vorgesehen, buchte man ihn auf die Vega Rakete um, was seinen Start um Jahre verzögerte. Bei der Entwicklung des Satelliten arbeiteten die Studenten aus Bologna mit ihren raumfahrterfahrenen Kollegen von der Gruppo di Astrodinamica Università degli Studi la Sapienza (GAUSS) in Rom zusammen. Gemeinsames Ziel war die Entwicklung eines passiven elektro-​dynamischen Systems zum De-​Orbiting des Satelliten. Diesmal wurden allerdings nur die Möglichkeiten zur Orientierung des Satelliten und für kleine Bahnmanöver erprobt. Abgesehen davon hofften die Studenten und ihr Industriepartner Alenia Spazio den 12,5 kg Satelliten zur Grundlage späterer Missionen nehmen zu können. Entsprechend universell hatte man ihn daher ausgelegt. Die La Sapienza Universität Rom war auch mit einem eigenen Satelliten bei diesem Start vertreten. Ihr UniCubeSat-​GG basierte auf dem 1U CubeSat Design, verfügte aber über zwei ausfahrbare Ausleger zu Experimenten zur Gravitationsgradientenstabilisierung. Ebenfalls um einen CubeSat handelte es sich bei e-st@r vom Politecnico di Torino. Typisch für ein CubeSat Projekt diente auch dieses vor allem der Ausbildung der Studenten. Technologisch von Belang war insbesondere die geplante Erprobung eines aktiven Attitude Determination and Control Subsystem (ADCS). Spanische Studenten der Universidade de Vigo hatten mit Unterstützung des Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (INTA) einen CubeSat Bus der Pumpkin Inc. für ihren XaTcobeo Satelliten modifiziert. Geplant waren mit ihm Tests eines rekonfigurierbaren Transmitters, eines experimentellen Solarzellen-​Entfaltungsmechanismus sowie Messungen im Umfeld des Satelliten. Studenten zweier Bukarester Universitäten hatten Goliat, den ersten Satelliten des Landes gebaut. Der ebenfalls von der Pumpkin Inc. bezogene 1U CubeSat-​Bus war mit einer 3 Megapixel Kamera, einem Piezo-​Detektor zur Registrierung auftreffender Mikrometeoriten und einem Dosimeter-​Experiment ausgestattet worden. ROBUSTA (Radiation on Bipolar Test for University Satellite Application) lautete der Name eines CubeSats der Université de Montpellier 2. Mit ihm sollte vor allem das Verhalten bi-​polarer Transistoren unter kosmischen Bedingungen verifiziert werden. Ungarn beteiligte sich mit MaSat 1 (Magyar Satellite) alias MaSat-​Oscar 72  (MO-​72 ) an diesem Unternehmen. Der CubeSat sollte vor allem die Funktion seiner Subsysteme verifizieren und somit bei der Auslegung zukünftiger Satelliten helfen. Anspruchsvoller war der polnische CubeSat PW-​Sat 1 . Er verfügte über eine entfaltbare Solarzellenfläche.
Zwei Wochen nach dem Start veröffentlichte die ESA Informationen zum Status der CubeSat-​Missionen. Demnach hatten praktisch alle Teams mehr oder weniger große Probleme. e-st@r taumelte nach dem Aussetzen unerwartet stark, was das Nachladen der Batterien erschwerte und dazu zwang, in einen Energiesparmodus zu wechseln. Dennoch konnten Funksignale des Satelliten weltweit empfangen werden. Signale des rumänischen Goliat Satelliten konnten nur intermittierend empfangen werden, brauchbare Telemetrie nur während eines einzigen Orbits. Vom französischen ROBUSTA konnte nur zu Beginn der Mission ein schwaches Signal aufgefangen werden. Eine Analyse der Situation ergab, daß wohl wegen eines Herstellungsfehlers die Batterien nicht nachgeladen wurden. Damit war die Mission gescheitert. XaTcobeo arbeitete wie vorgesehen, allerdings war auch bei ihm der Telemetrieempfang durch eine unerwartet schnelle Rotation gestört. UniCubeSat-​GG taumelte hingegen derart heftig, daß das Team kaum darauf hoffen konnte, daß sich der Satellit stabilisieren lassen würde. Nur einige wenige Telemetrieinformationen konnten zu Beginn der Mission empfangen werden. Sehr erfolgreich operierte hingegen MaSat 1. Sowohl eine Fülle an Telemetrieinformationen als auch ausgezeichnete Erdaufnahmen seiner Kamera konnten aufgenommen werden. Stetiger Kontakt bestand immerhin zu PW-​Sat 1. Allerdings zeigte die Telemetrie einen zu hohen Energieverbrauch, so daß die Abstände, in denen die Informationen zur Erde übermittel wurden, als Sofortmaßnahme vergrößert wurden. Das Team hoffte aber, die Situation stabilisieren zu können und auch das geplante Experiment mit der ausfahrbaren Fläche noch vorzunehmen. Wie sich jedoch herausstellte, beeinträchtigte der hohe Energieverbrauch in der Startphase der Mission ebenso wie ein erst nach dem Start entdeckter Serienfehler des Kommunikationsmoduls die Möglichkeiten, die atmosphärische Bremse zu aktivieren. Wochenlang wurde im Frühjahr 2012 das Kommando übertragen, ohne daß der Satellit reagierte. Schließlich wurden die Bemühungen ergebnislos eingestellt.